Es ist der Slogan, mit dem Joe Biden vier weitere Jahre im Weißen Haus erringen will: „Finish the job“ (Beende den Job). Es könnte auch ein Fanal sein für das Ende seiner Amtszeit. Der Enthusiasmus der Demokraten über ihren Kandidaten hält sich bislang in Grenzen.
Die Rede, ihr Zeitpunkt und das Publikum waren wohl orchestriert: US-Präsident Joe Biden verkündete vor Gewerkschaftern, dass er zu einer zweiten Amtszeit antreten will. Entsprechend groß war der Jubel, und der Präsident nutzte die Gelegenheit, die Errungenschaften seiner Administration hervorzuheben. Geprägt war sie vor allem durch eines: massive Ausgaben, um die Wirtschaft nach dem Corona-Tief wieder anzukurbeln. Die US-Wirtschaft, die stark von der Corona-Pandemie in Mitleidenschaft gezogen wurde, schuf allein von 2021 bis 2023 elf Millionen Jobs, mehr als vor der Pandemie. Biden, der während des Wahlkampfes eine Million neue Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe versprochen hatte, blickt derzeit auf immerhin 750.000 neu geschaffene Jobs in der Produktion. Die Arbeitslosen-Rate sank von über sechs Prozent auf 3,5 Prozent.
Die Wirtschaft hätte deutlicher florieren können – wäre da nicht die Inflation. Sie ist so stark gestiegen wie seit 40 Jahren nicht mehr. Die harten Maßnahmen der US-Notenbank Fed bremsten sie leicht ab, dennoch liegen die Verbraucherpreise heute um 14 Prozent höher, die Benzinpreise gar um 39 Prozent höher als vor Bidens Amtszeit. Und sie werden weiter steigen, so die Voraussagen der Energy Information Administration. Eine Katastrophe für die US-Amerikaner, die oft lange Wege bis zu ihren Arbeitsplätzen zurücklegen müssen. Auch die Löhne stiegen, wenn auch nicht so stark wie die Preise. Die Reallöhne sanken sogar um vier Prozent, so wie in Deutschland. Das Bruttoinlandsprodukt stieg deutlich gegenüber den Vorjahren: 2020 sank es noch um fast drei Prozent gegenüber dem Vorjahr, erholte sich jedoch 2021 (plus 5,9 Prozent) und 2022 wieder (plus 3,2 Prozent). Doch auch das Handelsdefizit verschärfte sich: Die USA importierten deutlich mehr als sie exportierten, das Defizit lag um 311 Milliarden US-Dollar höher als noch 2020.
Gute Bilanz, schlechte Umfragewerte
Mehr Jobs, mehr Menschen krankenversichert (ein Plus von 4,2 Millionen neuen Versicherten in Obamacare), aber auch etwas mehr Menschen, die Essensmarken nutzen, um sich zu ernähren – das sind die Zahlen der Biden-Administration. Das ambitionierte Wiederankurbeln der Wirtschaft nach der Pandemie aber war teuer: Mittlerweile beträgt der Schuldenstand der USA 24,6 Billionen US-Dollar, 313 Milliarden mehr als vor Bidens Amtszeit.
Insgesamt hat die Biden-Administration die US-Wirtschaft nach Corona mithilfe staatlicher Anreize und Gelder rasch wieder auf Vor-Corona-Niveau gehievt. Verbunden damit war die Ausrichtung auf eine modernisierte Infrastruktur und Klimatechnologien – der Inflation Reduction Act, der zu massiver Verstimmung der EU führte, weil er aus Sicht der Europäer Unternehmen der EU benachteiligt zugunsten US-amerikanischer Firmen.
Alles in allem und hinsichtlich der Wirtschaft eine gute Bilanz, die Joe Biden nach fast dreieinhalb Jahren Präsidentschaft vorweisen kann. Denn auch neueste Umfragen bestätigen: Es sind vor allem die wirtschaftlichen Probleme, die die US-Amerikaner im Wahlkampf umtreiben.
Eine weitere Amstszeit, um „den Job zu beenden“, bedeutet aber auch, dass Biden bei seinem Amtsantritt Anfang 2025 stolze 82 Jahre alt wäre – der älteste Präsident der US-Geschichte, der alleine schon durch sein Alter nicht gerade für einen Neuanfang in der Demokratischen Partei steht. Entsprechend wenig enthusiastisch, eher nüchtern fällt die Reaktion in den Reihen der Partei aus. Umfragen zeigen, dass selbst als demokratisch registrierte Wählerinnen und Wähler in den USA wenig begeistert von einer zweiten Amtszeit Bidens wären – 51 der Demokraten sind nach Angaben der Statistiker von „FiveThirtyEight“ gegen Bidens zweite Amtszeit, 52 Prozent der Amerikaner missbilligen seine Amtsführung. Keine ungewöhnlichen Zahlen für einen Präsidenten zwischen seiner ersten und einer möglichen zweiten Amtszeit. Wer aber wäre die Alternative?
Die Partei tut sich schwer, aus ihren Flügelkämpfen zwischen Moderaten und Progressiven heraus weitere vielversprechende Kandidaten entstehen zu lassen. Die beiden übrigen Kandidaten der Demokraten, die neben Biden ihren Hut in den Ring geworfen haben: Marianne Williamson, die mit Selbsthilfebüchern bekannt wurde und als „spirituelle Beraterin“ der Fernseh-Ikone Oprah Winfrey galt; und Robert F. Kennedy Jr., Spross der Kennedy-Polit-Dynastie, Impfgegner und zum Verschwörungstheoretiker gewandelter Umweltaktivist. Beide werden neben dem politischen Schwergewicht Biden keine Chance haben die sogenannten Primaries der Demokraten zu überstehen, um dort als Kandidaten gekürt zu werden.
Aber auch sonst haben sich in den vergangenen Jahren wenige Köpfe hervorgetan, die die Demokraten in eine neue Ära führen könnten. Selbst Vizepräsidentin Kamala Harris, auf der zu Beginn des vergangenen Wahlkampfes große Hoffnungen lagen, erwies sich im Weißen Haus als unsichere Kandidatin: Personalquerelen in ihrem Team sowie die innenpolitischen Themen wie Migration oder Wahlrechtsreform, mit denen sie sich befasste und die keine raschen, glänzenden Siege versprechen, verhinderten ein solides Fundament für einen möglichen Wahlkampf. Ihre Beliebtheitswerte sind noch schlechter als die Bidens. Dass der amtierende Präsident seine Vizepräsidentin jedoch austauscht, ist unwahrscheinlich. Sie gilt nach wie vor als Vorbild für viele afroamerikanische Wählerinnen, auch wenn sie als erste Frau auf dem Posten des Vizepräsidenten politisch bislang keine gute Figur machte. Und diese Wählergruppe könnte der Schlüssel zur Wiederwahl von Joe Biden sein.
Schwierige Lage für Kamala Harris
Kamala Harris lief in der Vergangenheit dann zu guter Form auf, wenn es um die Rechte von Afroamerikanern oder Frauen ging. Zu nennen wären ihre deutlichen Worte zu einer Polizeireform bei dem Begräbnis des von Polizisten getöteten Tyre Nichols zu Beginn des Jahres 2022 oder ihre Rede zum 50. Jahrestag des mittlerweile abgeschafften Anti-Abtreibungsparagrafen „Roe v. Wade“. Beides Themen, in denen sich die ehemalige Generalstaatsanwältin von Kalifornien wohlzufühlen scheint. Bei vielem anderen gilt sie nach Medienberichten auch in ihrer eigenen Partei als schlechte Kommunikatorin. Ob sie das künftig endgültig als mögliche Präsidentschaftskandidatin nach einer Biden-Ära disqualifiziert, hängt nicht zuletzt von einer möglichen zweiten Amtszeit Bidens ab. In dieser könnte sie wachsen, sichtbarer und sicherer werden, auch durch ihre neue Stabschefin: Lorraine Voles gilt als unorthodoxe Strategin.
Die Anforderungen an ihren Führungsstil und ihre politischen Erfolge könnten angesichts der vergangenen Jahre höher als an die anderer Vizepräsidenten sein. Nicht nur, weil sie eine schwarze Frau ist und weil sie einige öffentliche Fehltritte und personelle Querelen in ihrem Team überstehen musste. Sondern auch, weil sie möglicherweise Joe Biden im Amt nachfolgen würde, sollte der Präsident vor dem Ende seiner Amtszeit zurücktreten. Unwahrscheinlich ist dies nicht, obwohl die vor vier Jahren erfolgte Diskussion darüber heute der Grundlage entbehrt: Laut seinen Ärzten sei Joe Biden fit für den Job, körperlich wie geistig, melden die US-Medien, ebenfalls in Sorge um das hohe Alter des Präsidenten.
Kern von Joe Bidens Legitimation für eine zweite Amtszeit ist, dass er wahrscheinlich der beste, erfahrenste Kandidat der Demokraten ist, um eine zweite Amtszeit von Vorgänger Donald Trump zu verhindern. Das Duell der älteren Herrschaften – Trump wäre im Falle eines Sieges über Biden bei Amtsantritt 78 Jahre alt – geht damit wohl in eine zweite Runde.