In Berlin sollen künftig auch 16- und 17-Jährige auf Landesebene wählen dürfen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde nun beschlossen. Darüber ist nicht jeder in der schwarz-roten Koalition gleichermaßen glücklich.
Über mehrere Jahre wurde diskutiert, nun ist es so weit: Berlin hat das Wahlalter für Wahlen des Landesparlaments auf 16 Jahre gesenkt. Dafür werden sowohl die Verfassung als auch das Landeswahlgesetz geändert. „Es wird jeder verstehen, dass wir nicht in Jubelstürme ausbrechen“, sagte der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Danny Freymark gegenüber der „Berliner Zeitung“. Dennoch stehe die CDU zu ihrem Wort. Denn die Absenkung steht im gemeinsam mit der SPD aufgesetzten Koalitionsvertrag.
Dabei hatte sein Vorgänger und derzeit amtierender Bürgermeister in Berlin, Kai Wegner, dem Ganzen im Mai 2022 eine klare Absage erteilt: „Die Fraktion wird am anerkannten Wahlalter von 18 Jahren festhalten. Die Volljährigkeitsgrenze hat sich national wie international durchgesetzt und bewährt“, hatte er damals gesagt und sich auf eine Kopplung von Wahlalter und voller Geschäftsfähigkeit berufen: „Es wäre unlogisch, einerseits wählen zu dürfen, andererseits aber ohne die Zustimmung der Eltern keinen Handyvertrag abschließen zu können.“ Die Pläne der damals rot-rot-grünen Landesregierung, das Wahlalter noch 2022 abzusenken, scheiterten an der CDU. „Das Wahlalter gehört aus guten Gründen zur Volljährigkeit und das soll auch so bleiben“, hatte er gesagt. Aber damals war die CDU eben auch noch in der Opposition. Heute trägt man Regierungsverantwortung. Mit der SPD.
Dass der Weg der Berliner CDU in die Regierungsverantwortung mit einigen Kompromissen gepflastert sein würde, muss ihnen vorab klar gewesen sein. „Dass das in der CDU nicht unumstritten ist, ist keine Frage“, sagte Wegner, gerade in Bezug auf die Absenkung des Wahlalters, gegen die man sich doch so lange widersetzt hatte. „Ich selbst bin für dieses Thema lange offen“, ergänzte er zudem – und sorgte damit auch in den eigenen Reihen für Kopfschütteln. Von der „Das soll auch so bleiben“-Mentalität keine Spur mehr.
CDU eigentlich dagegen
„Die Absenkung des Wahlalters ist Teil einer Vereinbarung mit der SPD“, weiß auch Fraktionsvize Freymark. „Das bedeutet aber auch, dass wir Punkte, die uns wichtig sind, wie die Demokratiebildung an den Schulen, gleichzeitig verbessern müssen.“ Dabei denke die Union beispielsweise an eine Ausweitung von Schulbesuchen im Landesparlament, aber auch daran, der Bundeswehr die Möglichkeit zu schaffen, an Schulen über sich zu informieren.
Klara Schedlich, Jugendpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Berliner Parlament, hält die Jugend auch ohne weitere Bildungsangebote für reif genug. Politische Bildungsangebote in jedem Alter befürworte sie zwar, aber: „Die CDU zeigt damit auch ihr Misstrauen gegenüber einer jungen Generation, deren massenhaftes Engagement für mehr Klimaschutz und eine gerechtere Gesellschaft in den vergangenen Jahren gezeigt hat, dass Jugendliche sich in politische Debatten einbringen wollen und können“, sagt die selbst erst 23 Jahre junge Abgeordnete. Gerade auch die große Fridays-for-Future-Bewegung habe dies verdeutlicht. Die Grünen hatten zuvor bereits mehrfach ihre Unterstützung für den Wahlrechtsänderungsantrag ausgedrückt und diese in der rot-rot-grünen Vorgängerregierung schon vereinbart.
„Mehr Beteiligung und Stimmrecht können nur gut sein“, betont auch SPD-Fraktionschef Raed Saleh. „Mit dem Beschluss der Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre für die Wahl des Landesparlaments setzt der Berliner Senat ein Zeichen für mehr Beteiligung junger Menschen an politischen Entscheidungen, für mehr Anerkennung, Wertschätzung und Verantwortung der jungen Generation in unserer Stadt“, betont auch Landespartei-Chefin Franziska Giffey. „Viele Jugendliche haben oft auch schon vor dem 16. Lebensjahr ein ausgeprägtes Interesse und Wissen über Politik und engagieren sich auf verschiedenste Weise für unsere Stadt.“
Mit 89,3 Prozent – also weit mehr als der benötigen Zwei-Drittel-Mehrheit – wurde die Absenkung des Wahlalters im Berliner Parlament beschlossen. Am Ende stimmte nur die Berliner AfD gegen die Wahlrechtsreform. Die Wahlrechtsreform ist das erste bedeutende gemeinsame Projekt der schwarz-roten Regierung. Somit wird die Zahl der Wahlberechtigten in der Bundeshauptstadt um etwa 50.000 Personen steigen. Zuvor durften rund 2,44 Millionen Menschen in Berlin den Gang zur Wahlurne bestreiten. Die erste reguläre Parlamentswahl, die das beträfe, stünde dann 2026 an.
Bislang durften 16- und 17-Jährige in Berlin nur auf kommunaler Ebene wählen. Im benachbarten Brandenburg wurde das Wahlrecht ab 16 bereits 2014 eingeführt. Auch in Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein liegt das Wahlalter bei 16 Jahren. In Hessen wurde das Wahlrecht ab 16 auf Landesebene zwar 1998 unter rot-grüner Landesregierung eingeführt, 1999 unter dem damals neuen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch aber wieder abgeschafft. Nach einer Gesetzesänderung auf Bundesebene gibt es eine entsprechende Regelung nun auch für die Europawahlen, erstmals 2024.
Die Wahlalterabsenkung in Berlin könnte nun auch den Druck auf die Bundesebene erhöhen, auch die Bundestagswahlen für Jugendliche zu öffnen, hofft die Linke. „Die Zukunft junger Menschen wird wesentlich durch Entscheidungen beeinflusst, die die Parlamente heute treffen“, sagt die Vorsitzende der Linken-Fraktion in Berlin, Anne Helm. Daher sei es „urdemokratisch, Jugendlichen so früh wie möglich die Chance zu geben, Einfluss auf die Zusammensetzung dieser Parlamente zu nehmen“. Entsprechende Anträge auf Bundesebene hat es zwar in der Vergangenheit gegeben, sie wurden aber – wie zuletzt 2021 – durch eine Mehrheit von CDU, SPD und AfD abgelehnt. Nach Baden-Württemberg ist Berlin nun das zweite CDU-geführte Bundesland, das sich trotz allgemeiner Ablehnung in der CDU gegenüber einer Absenkung dafür entschieden hat.