Er war der größte, bunteste, schillerndste, grandioseste, spektakulärste und teuerste Grand Prix in der 74-jährigen Geschichte der Formel 1. FORUM blickt zurück auf das wilde Nachtspektakel im glamourösen Zockerparadies Las Vegas und nimmt seine Leser mit auf ein atemloses Rennen.
Mit atemberaubender Geschwindigkeit von 350 Sachen und mehr flogen sie im taghell erleuchteten Nachthimmel über die nachträglich verschweißten Kanaldeckel auf der knapp zwei Kilometer langen Vollgaspassage hinweg. 1.750 Leuchten gestalteten die Nacht für Fahrer, Fans und Zuschauer zum Tag. 50 Runden lang boten die Vollgas-Artisten über 305 Kilometer mit sechs Rechts- und elf Linkskurven pro Runde ein wildes Nachtspektakel allererster Güte. Und am Ende hieß der Sieger wie zuvor schon in 18 Saisonrennen Max Verstappen. Nach Überqueren der Ziellinie schmetterte der Red-Bull-Überflieger den Elvis-Song „Viva Las Vegas“ in sein Helm-Mikrofon, schälte sich in dem extra angefertigtem weißen Elvis Presley-„Kostüm“ (Rennanzug) aus seinem Siegesbiest mit offiziellem Namen Red Bull RB 19 und verkündete beim Siegerinterview: „Ich hoffe, die Fans hatten Spaß, wir Fahrer auf jeden Fall. Ich freue mich schon aufs nächste Jahr.“
Die Fahrer hatten ihren Spaß
Das war die Wortwahl eines dreimaligen Weltmeisters, der nach diesem dritten US-Saisonrennen seine Meinung als großer Kritiker dieser neuen, grandiosen Formel-1-Show revidierte. „Ich komme mir vor wie ein Clown“, hatte Verstappen bei der pompösen Vorstellung der Fahrer-Parade festgestellt, „das ganze Drumherum hier geht mir nicht ab, ich fokussiere mich nur auf das Rennen“, so der F1-Superstar im Vorfeld der Perle des Rennkalenders. Verstappen hatte vor dem „Mega-Grand Prix“ mehrfach sein Missfallen über die Show und auch über das Layout der Strecke als Straßenkurs unmissverständlich kundgetan.
Nach seinem Sieg kam er aber zu der Erkenntnis, dass „das Rennen richtig guter Rennsport war.“ Und die Worte des „strammen Max“ sollten sich bewahrheiten.
Auf der Strecke und dem legendären „Strip“, dem Boulevard und der Amüsiermeile, spielten sich zahllose wilde Positionswechsel und -kämpfe im gesamten Feld ab – bei Tempo 350.
Verstappen hatte nicht die beste Ausgangsposition auf einen Sieg. Er startete „nur“ als Zweiter neben Ferrari-Pilot Charles Leclerc, war aber in der ersten Kurve auf Augenhöhe mit dem „galoppierenden Pferd“, drängte „Ross und Reiter“ mit weichen Reifen auf rutschigem Asphalt mehr oder weniger unabsichtlich weit nach draußen. Für dieses Manöver saß Verstappen bei seinem späteren Reifenwechsel fünf Strafsekunden ab, die er aber locker verschmerzen konnte. Am Ende graste der „nimmersatte Bulle“ einen weiteren großen Erfolg ab. Mit seinem 53. F1-Triumph zog Verstappen mit Sebastian Vettels Siegesserie gleich. Als „Nummer drei“ der ewigen Bestenliste hat der „fliegende Holländer“ nur noch Michael Schumacher (91) und Lewis Hamilton (103) vor der Brust. So nebenbei hat der Super-Bulle einen neuen F1-Rekord aufgestellt: 38. Grands Prix in Folge als WM-Führender, von Spanien 2022 bis Las Vegas 2023. Der alte Rekord von Michael Schumacher ist gebrochen. Über sein Rennen sagte Verstappen: „Die Strecke war unglaublich rutschig, man musste höllisch aufpassen. Das war ein hartes Stück Arbeit auf einer Strecke, die ganz offenbar guten Sport erlaubt.“
In dem atemlosen Vegas-Rennen mit Verbremsern, Unfällen und Safety-Car-Phasen hatten auch die Plätze zwei und drei ihren besonderen Reiz. In einem Krimi-Finish krallte sich Ferrari-Pilot Leclerc in der letzten Kurve Sergio Perez im zweiten Bullen-Boliden und sicherte sich Platz zwei. Mit Vegas-Rang drei hat sich der mexikanische Bulle in der Fahrer-Gesamtwertung aber vor Mercedes-Konkurrent Lewis Hamilton eingenistet (273:232). Das Rennen beendete der siebenmalige Weltmeister im Niemandsland auf Rang sieben und heimste sechs WM-Punkte ein. Zu wenig für Sir Lewis Charles Davidson Hamilton noch Vize-Champion zu werden, selbst wenn beim Finale in Abu Dhabi noch 25 Punkte für den Sieger und ein Extrazähler für die schnellste Runde vergeben wurden.
Mit Rang eins und zwei in der Fahrer-WM hat Red Bull sein Ziel erreicht. „In dieser Saison wäre es irgendwie ein schwarzer Fleck gewesen, wenn wir dieses Ziel Erster und Zweiter zu werden nicht geschafft hätten. Wir sind sehr stolz, dieses Ziel erstmals in unserer Geschichte erreicht zu haben“, freute sich Bullen-Teamchef Christian Horner. Beeindruckend die Erfolgsbilanz seines Rennstalls: Verstappens Sieg war der 112. F1-Triumph seit Übernahme des Jaguar-Teams 2005 und gleichzeitig der siebte Erfolg auf US-amerikanischem Boden sowie der 20. Saisonerfolg im 21. Rennen des Jahres.
Fassen wir zusammen: Die Traum-Ehe aus Sport und Show konnte nach etlichen Anlaufschwierigkeiten endlich überzeugen. Der eigentliche Grand Prix in Sin City, der „Stadt der Sünde“, bot alles, was sich die Veranstalter erhofft hatten. Nur nicht die Pannen im Vorfeld dieses Rennspektakels. Am „schwarzen“ Donnerstag, zwei Tage vor dem Super-Nachtereignis, schien die Formel 1 auf bestem Wege, sich in der Glücksspielermetropole selbst zu beerdigen. Die erste Trainingseinheit musste wegen des Kanaldeckel-Dramas abgesagt werden. Ausgerechnet vor der Prunkkulisse des Luxushotels Bellagio sorgte der Schaden auf dem Asphalt nach nur acht (!) Minuten Fahrzeit für den Abbruch des Auftakttrainings. Was war passiert?
Hülkenberg spielt keine Rolle
Eine Kanalabdeckung hatte sich gelöst als Ferrari-Pilot Carlos Sainz unverschuldet mit 320 km/h über das Relikt gebrettert ist. Folge: Der Unterboden seines Dienstfahrzeugs war ziemlich zerstört. Folge zwei: Wegen eines (unerlaubten) Batteriewechsels wurde Sainz laut Reglement in der Startaufstellung zehn Plätze nach hinten (Startplatz zwölf) versetzt. Beschwerden und Klagen gegen die unverschuldete Strafversetzung des Spaniers blieben erfolglos gegen den festgefahrenen Paragrafen. Sainz zeigte es den Regelhütern letztendlich auf seine Art, kämpfte sich im Rennen noch auf Rang sechs nach vorne. Der einzige Deutsche im F1-Fahrerfeld, Nico Hülkenberg aus Emmerich am Niederrhein, musste sich nach technischen Schwierigkeiten vorzeitig aus seinem Haas-Boliden verabschieden.
Verabschieden, und zwar ebenfalls unfreiwillig, mussten sich die Fans, die am Donnerstag vor dem Rennen für ihre teuren Tickets keine Trainingssitzung zu sehen bekamen. Die von Sainz’ Ferrari unfreiwillig zerstörte Kanalabdeckung musste wieder befestigt werden. Die Zuschauer hatte man nach Hause geschickt, um den Streckenarbeitern einen pünktlichen Feierabend zu ermöglichen. Nach diesem Fan-Fiasko strebt eine Kanzlei in Nevada eine Sammelklage an, sie will 35.000 Fans vertreten, die wegen Reparaturarbeiten für ihre teuren Tickets keine Trainingseinheit zu sehen bekamen.
Im Vorfeld großartig und vollmundig als PS-Rennen des Jahres angekündigt und verkündet sorgte der enorm gehypte Las Vegas-Grand Prix vor allem in der Stadt selbst für viel Kritik. So ließ zum Beispiel das „Las Vegas Review-Journal“ kein gutes Haar an dem prestigeträchtigen Rennen und kam zu folgender Erkenntnis: „Dieses ganze Formel-1-Experiment war ein Wahnsinn höchsten Grades. Der Aufbau der Strecke war ein Durcheinander, ein absoluter Albtraum. Das große Problem ist aber, dass die Stadt tot ist. Ob es die anfangs empörend hohen Preise waren oder die Angst vor einem chaotischen Wochenende – die Leute sind weggeblieben“, schrieb das Blatt. Der britische „Telegraph“ sah es nicht komplett negativ. „Die Formel 1 muss aus ihrem ersten Ausflug in die Stadt der Sünde noch einiges lernen, aber der Sonntag hat ihr eine Plattform gegeben, auf der sie in den kommenden Jahren aufbauen kann.“ Die „Washington Post“ kommentierte: „Schnelle Hochzeiten. Cocktails in Fahrerschuhen. Eine Sammelklage. Das Einzige, was beim Formel-1-Debüt in Las Vegas vorhersehbar war, war der Sieger. Es war die Feier eines exzessiven Sports in der exzessivsten aller Städte.“ Apropos Hochzeit: Ex-Formel-1-Weltmeister Jacques Villeneuve hat in der Kapelle im Fahrerlager Las Vegas öffentlichkeitswirksam seine Langzeitfreundin Giulia Marra geheiratet. Für den Kanadier, Vater von sechs Kindern, ist es bereits die dritte Ehe. Das britische Boulevardblatt „The Sun“ titelte: „Viva Max Vegas! Es war die einzige Gewissheit in der Stadt, bei der das Glück eine Rolle spielt: Max Verstappen gewann den Großen Preis von Las Vegas.“
Verstappen fährt außer Konkurrenz
Zu guter Letzt: Die brandneue F1-Strecke in der „sündigen Stadt“ beeindruckt mit einem faszinierenden Mix aus schnellen Geraden und anspruchsvollen Kurven, die den Fahrern und Zuschauern eine aufregende Herausforderung bieten. Die Strecke ist umgeben von einer atemberaubenden Kulisse aus glitzernden Casinos und moderner Architektur, was ein einzigartiges Rennerlebnis schafft. Mit modernster Infrastruktur und einer strategisch gestalteten Rennstrecke verspricht der „Las Vegas Strip Circuit“ zu einer der aufregendsten Veranstaltungen im F1-Kalender zu werden.
Weniger spektakulär, eher unaufgeregt, verlief das Finale in Abu Dhabi. Nimmersatt Max Verstappen räumte auch im letzten Saisonrennen ab. Problemlos und entspannt setzte sich der Super-Bulle von der Poleposition gegen Charles Leclerc (Ferrari) und George Russell im Mercedes durch. 19 Siege in 22 Rennen bedeutet die Rekord-Sieg-Quote von 86,4 Prozent. Mit 54 Gesamtsiegen übertrumpft die Rennmaschine „Magic Max“ Vierfach-Weltmeister Sebastian Vettel. „Es war eine ganz besondere Saison, die wir sehr genossen haben, und wir sind sehr stolz auf das, was wir erreicht haben“, so Verstappen bei Sky.
Einziges Spannungselement in dem überschaubar aufregenden Rennen war der Zweikampf zwischen Mercedes und Ferrari um Platz zwei in der Teamwertung hinter Red Bull. Mit ihren Plätzen drei und neun verteidigten Russell und Lewis Hamilton mit hauchdünnem Vorsprung von drei Punkten (409:406) die Vize-WM in der Konstrukteurswertung. Dieser Titel ist für das einst erfolgsverwöhnte Team Mercedes nicht mehr als die „goldene Ananas“ als Trostpflaster.