Schon Design-Ikonen wie Le Corbusier zählten zu den frühen Bewunderern der Berberteppiche. Nun feiern die cremeweißen Beni Ourains aus Marokko ein großes Comeback in der globalen Einrichtungswelt.
Im Zuge des aktuellen Trends zu mehr kuscheliger Wohnlichkeit erleben seit geraumer Zeit bestimmte Berberteppiche aus Marokko ein großes Revival. Sie wurden auch schon von frühen Design-Größen wie Le Corbusier, Alvar Aalto oder Charles und Ray Eames sehr geschätzt. Dabei handelt es sich um cremeweiße, beigefarbene, manchmal etwas gelbstichige Teppiche aus reiner Schurwolle mit ziemlich schlichter, schwarzer oder brauner Musterung, beispielsweise Rauten oder Zickzack-Linien, die von den Frauen der in kleinen Bergdörfern im nördlichen Atlasgebirge lebenden Beni-Ourain-Volksstämme noch traditionell in aufwendiger und mühseliger Handarbeit hergestellt werden. Alternativ zur Bezeichnung Beni Ourain werden die Teppiche auch schon mal Beni Ouarain, Beni Ouarins oder Beni Quarains genannt. Seit geraumer Zeit dürfen sie in keinem angesagten Einrichtungs-Magazin mehr fehlen und sorgen auf zahllosen Wohn-Blogs oder auch auf Pinterest für reichlich Furore.
Die Teppiche, die vormals in den Zelten der Berber die Möbel ersetzen, als Bett fungierten und auch das Schmuckbedürfnis der Bewohner befriedigt hatten, präsentieren sich in der modernen westlichen Wohnwelt als ganz stille Stars. Mit ihren gedeckten Farben sind sie keine Hingucker, sondern passen sich dezent ihrem Umfeld an, ganz egal, ob es sich dabei um Holzdielen, Linoleum oder Rohbeton handelt. Ein Beni Ourain braucht keine große Bühne, seine Farbe und seine einfachen Muster lassen sich problemlos mit unterschiedlichsten Interieur-Stilrichtungen kombinieren. Er fügt sich gleichsam von selbst perfekt in die Umgebung ein – und wird dadurch selbst zu einem zeitlosen Design-Klassiker, der inmitten einer optisch zunehmend austauschbaren globalen Einrichtungswelt für Abwechslung sorgen und identitätsstiftend wirken kann.
Bis zu 280 Arbeitsstunden für einen Teppich
Charakteristisch für einen Beni Ourain sind einfache Muster, die häufig wie von Hand aufgemalt wirken. Es dominiert die Raute. Sie kommt in unzähligen Variationen und Kombinationen vor und bildet nicht selten flächendeckende Rapportmuster. Daneben gibt es Zickzackmuster, Sägezahnräder, achtstrahlige Sterne, Zahnleisten oder seltener auch Tiersymbole. Manche Teppiche haben einen dunklen Rahmen, andere Fransen. Jeder Teppich ist ein Unikat, ein Einzelstück, keiner gleicht dem anderen, Unregelmäßigkeiten sind keine Fehler, sondern gehören dazu. Ein echter Beni Ourain ist also alles andere als ein Massenprodukt. Daher ist seine Klassifizierung als Trendobjekt schon etwas paradox. Für Le Corbusier bestand das Geheimnis der Nomadenteppiche in ihrem strengen, aber gleichzeitig verspielt anmutenden Design, das die Fantasie der Knüpferin durch ihre traditionellen Muster durchschimmern ließ.
Bis zu 280 Arbeitsstunden kann das Fertigen eines Beni Ourain erfordern – was ihn eigentlich zu einem unbezahlbaren Luxusgut machen müsste. Aber die Frauen werden von den Aufkäufern oder Händlern, die auf festen Routen die Berbersiedlungen regelmäßig abfahren und die Teppiche anschließend in den Souks von Marrakesch verkaufen, nicht sonderlich gut bezahlt. Allerdings sollte man nicht glauben, dass man einen echten, kleinen Teppich für Schnäppchen-Preise von 100 oder 150 Euro bekommen kann. Denn dann handelt es sich garantiert um eine Fälschung, wie sie inzwischen in ganz Marokko in großen Produktionshallen am Fließband hergestellt werden. Für ein kleineres Original sollte man schon mit einer Investition von 400 Euro aufwärts kalkulieren.
Profis erkennen Fälschungen schnell auf der Rückseite, weil nur Originale gut gekämmte, gewaschene und perfekt gezwirbelte Wolle sowie ordentlich gemachte Knoten aufweisen. Laien sollten schon beim Blick auf schneeweiße Teppiche Abstand von einem Kauf nehmen. Ein Naturprodukt kann diese Farben nicht haben. Auch Riesenformate sprechen eher für eine Fälschung, weil die Teppiche, die inzwischen in allen gängigen Größen zu haben sind, ursprünglich vom Umfang gerade mal ins Zelt passen durften. Die eine Hälfe des Teppichs war so breit wie der Körper, mit der anderen wurde sich zugedeckt. Der Kauf eines echten Beni Ourains kann jedenfalls als Anschaffung fürs Leben angesehen werden. Denn der Teppich wird erst über viele Jahre hin richtig weich und seidig.