Ein verlorengegangenes Kind in einem Freizeitpark zu finden, gestaltet sich mitunter schwierig. „Big Data" kann dabei helfen. Ein Unternehmen aus Frankfurt am Main arbeitet mithilfe modernster Technologie daran, in dem es zum Beispiel Bewegungsdaten sammelt.
Sie ließen riesige Datenmengen durchforsten. „Weniger ist manchmal mehr", räumten die Betreiber eines großen Freizeitparks der Medienindustrie in Orlando/USA ein, nachdem sie etwa fünf Jahre lang gigantische Budgets in Big-Data-Analysen versenkt hatten. Wieder und wieder hatten sie dringend benötigte Antworten erst mit eineinhalb Tagen Verspätung gefunden. Etwa auf die Frage, wo ein vermisstes Kind auf einem unübersichtlichen Gelände gerade war. Oder wie Besucher zeitnah identifiziert und beglückt werden könnten, die just in diesen Minuten ihre kostbaren Freizeitpark-Stunden in einer endlosen Warteschlange an der Achterbahn verstreichen sahen.
Ihre Reputation drohte baden zu gehen, denn schließlich war den Menschen, die in die jeweilige Fantasiewelt eintauchten, ein magischer Parktag versprochen worden. Ein Tag, an dem sie beispielsweise von ihren Lieblingshelden zur Mitwirkung in einer Filmszene von „Avatar" oder „Star Wars" abgeholt würden – quasi durch puren Zauber.
Gar nicht zauberhaft fanden es die Parkmanager, wenn mehrstufige Daten-Bewegungen und -Transformationen nicht nur kosteten, sondern auch ewig dauerten: Bis zu 36 Stunden summierten sich, um die 500 Millionen Datensätze auszulesen, die 150.000 Besucher pro Tag vom Ticketkauf bis zum Verlassen des Parks erzeugten – über sogenannte RFID-Datenarmbänder, die sie lokalisierbar und identifizierbar machten, oder auch über Sensoren im Gelände.
„Weniger ist manchmal mehr"
Riesige Datenanalysen waren nötig, um eine einzige Frage – etwa nach den persönlichen Präferenzen eines Gastes – durch passende Zuordnungen zu beantworten. Beispielsweise die Idee, einem Geburtstagskind mit einer individuellen Überraschung – etwa einer Filmszene mit Luke Skywalker – zu gratulieren, verpuffte so. Die 80.000 Mitarbeiter im Park, mit 240.000 Schichten pro Tag für ganz viel Showprogramm zuständig, mussten bei ihren Beglückungsversuchen „live" quasi weiter im Trüben fischen und nach altmodischen Geburtstagsbuttons mit ihren Augen Ausschau halten. Wie auch nach verlorenen Kindern.
Tony Andris, Technik-Geschäftsführer und Mitgründer von Datawerks, schüttelt vier Jahre, nachdem er und sein kleines Team schließlich die Aufgabe übernahmen, den Park für Echtzeit-Digitalisierung fit zu machen, beim Gespräch in einem Münchener Café immer noch fassungslos den Kopf. Es sei ein verbreitetes Problem, dass klassische Datenanalysten versuchten, „mit irren Datenmassen" schnell benötigte Antworten zu finden: „Seit 30 Jahren geht die Datenforschung so vor, dass sie alles sammelt, um hoffentlich alle Fragen, die aus dem Geschäftsbereich herauskommen, beantworten zu können. Damit haben sie wahnsinnig viel Komplexität geschaffen und brauchen wahnsinnig viel Aufwand und Zeit, um zum Ziel zu kommen."
Digital-Innovations-Geschäftsführer Klaus Lindinger ergänzt: „Big Data bedeutet, sie sammeln alles, sie suchen alles und lassen alles in einem Ozean zusammenfließen. Wir hingegen brauchen nach unserer Philosophie vor allem den Kunden, der uns sagt, was er will, damit wir eine Frage stellen können und gezielt suchen."
Andris und sein Team setzen auf Vorselektion, die sich an konkreten Fragen und Suchaufträgen orientiert: „Wenn ich nur Heringe will, hole ich doch nur die Heringe heraus und mache damit, was ich brauche." Das heißt, statt alle verfügbaren Daten abzuarbeiten, greift sich Datawerks selektiv die relevanten Informationen heraus und reduziert bereits vor der Übertragung das Original-Datenvolumen um rund 90 Prozent. „Durch die an die Funktionsweise des Mittelhirns angelehnte, musterbasierte Daten-Indexierung werden etwa 95 Prozent aller Abfragen direkt innerhalb der Datawerks-Plattform abgearbeitet", präzisiert Lindinger. Mit „Datawerks Brain-aligned Real-Time Insights" sei es möglich, binnen Sekunden zu Ergebnissen zu kommen, für die sich die Recherchen und Zuordnungen sonst eben eineinhalb Tage hinziehen würden. Beim Durchräumen erstellt die Datawerks-Real-Time-Technologie eine Abstraktionsschicht, die sogenannte Daten-Mash-ups über vielerlei Quellen und Formate hinweg ermöglicht.
Bewegungsdaten werden verfolgt
In Echtzeit erfahren die Mitarbeiter so von frustrierten Gästen. Sie gehen beispielsweise auf die entsprechende Besuchergruppe zu und sagen: „Wir wissen aufgrund eurer Vorbuchung, dass ihr an einer speziellen anderen Attraktion auch Interesse habt. Geht hin, dort wartet ihr nur zwei Minuten. Oder geht inzwischen in den Souvenir-Shop." Aufgrund ihres generierten Umsatzes bekommt die Gruppe einen Express-Pass für die Attraktion, wo sie ursprünglich stand und muss dort später nicht mehr warten. Lindinger: „Alle sind glücklich."
Und das trotz Verfolgung ihrer Bewegungsdaten? „Wenn mehr als 50 Millionen Menschen jährlich durch die vier größten Parks durchgeschleust werden, ist die Gefahr, dass jemand verloren geht oder in Chaos und Stresssituationen gerät, gegeben", sagt Andris. Die Besucher erhalten deshalb zusammen mit den Tickets sogenannte RFID-Armbänder. Der Technologie-Chef: „Das Armband nimmt ihnen ihre Befürchtungen ab."
Willigen die Parkgäste ein, werden ihre Bewegungsdaten während ihres Bummels durch das Spaßgelände verfolgt und gegebenenfalls in konkrete Zusammenhänge mit Daten des Ticket-Erwerbs und des Besuch-Kontextes gebracht. „Das ist natürlich ein sensibler Bereich", sagt Lindinger. „Normalerweise sind die Kundendaten anonymisiert. Erst wenn sich die Eltern eines vermissten Kindes an die Betreiber wenden, wird gezielt personalisiert gesucht und werden die Daten einem personalisierten Kontext zugeordnet, damit das Kind schnell gefunden werden kann. Sonst wären wir in der gläsernen Welt, die viele fürchten."
Ein Großteil der vorhandenen Daten bleibt unbeachtet. Lindinger: „Statt immer die großen Daten zu sammeln, finden wir es viel interessanter, die Frage zu analysieren und zu schauen, in welchen Quellen wir danach suchen." Das werde in der traditionellen Datenwelt nicht gemacht. Der Digitalisierungs-Spezialist: „Uns ist es egal, wenn wir in den Keller zu Großrechnern mit 30 Jahre alten Daten gehen müssen. Wir sind Brückenbauer zwischen den Daten und der Quelle. Wir sagen zur Quelle: „Gib mir mal diese und jene Daten", das geht dann überraschend schnell. Es braucht nur ein bisschen Übersetzertalent dazu."
Und technologische Hilfen. Andris: „Wir haben mit vielen unterschiedlichen Kollektoren und Treibern gearbeitet. Dafür haben wir Schnittstellen-Profis, die mit aufgesetzten „Steckern" die angetroffenen Schnittstellen auf drei oder vier reduzieren. Da muss im Einzelfall nur wenig angepasst werden."
Rasterfahndung in Echtzeit
Schlagwortverzeichnisse gab es schon in der Antike. Eine ähnliche Suchorientierung hat sich auch Datawerks zunutze gemacht, um effizient Daten auszuschleusen. Im Orlando-Freizeitpark bedeutet das, dass das Unternehmen, beziehungsweise die eingearbeiteten Park-Mitarbeiter, nur die jeweils benötigten Daten aus den relevanten der etwa 43 angebundenen Quell-Systeme fischen.
Prävention sei ebenfalls wichtig. Andris: „Freizeitparks aus Deutschland, die bei uns anfragen, interessiert nicht nur die Kundenzufriedenheit, sondern auch die vorausschauende Sicherung und Sicherheit, damit in den Attraktionen nichts passiert – auch mit Blick auf Versicherungsprämien."
Mit musterbasierter Daten-Indexierung Vermisste in Parks oder auch – als Echtzeit-Rasterfahndung – Verdächtige aufspüren: Da geht noch mehr. Echtzeit-Datenvirtualisierung lässt sich auch für Fragen der neuen Datenschutzverordnung nutzen. Beispielsweise für Banken dauere es extrem lange und sei ungeheuer aufwendig, manuell alle Datenschnipsel herauszuziehen und zusammenzubringen. Lindinger: „Wir geben Banken und Firmen etwas an die Hand, um überhaupt zu wissen, wo die Daten sind und in welchem Zustand. Für den Fall, dass die Anfrage eines Anwalts käme, könnten sie schnell beantworten, wo genau und zu welchem Zweck Daten gehalten werden und ob irgendetwas gemacht worden ist, was gegen die Regeln verstößt." In Echtzeit.