Im deutschen Wasserspringen ist keiner erfolgreicher als Patrick Hausding. Auch bei der WM in Südkorea ist der Berliner der größte Hoffnungsträger. Doch wieder einmal warfen ihn Verletzungen zurück.
Patrick Hausding ist Schmerzen gewohnt, seit Jahren plagt sich Deutschlands bester Wasserspringer mit körperlichen Gebrechen herum. Das Knie ist kaputt, die Schulter zwickt, und nicht umsonst hat der Berliner einmal gesagt: „Es gibt Zeiten, da nasche ich Ibuprofen wie andere Gummibärchen." Doch die Schmerzen, die Hausding nach einem Trainingsunfall im Januar verspürt hatte, waren mit nichts zuvor zu vergleichen. Und sie sind ein wichtiger Grund dafür, warum der Olympia-Dritte von Rio de Janeiro bei der Weltmeisterschaft im südkoreanischem Gwangju (12. bis 28. Juli) so gut wie keine Medaillen-Ambitionen hegt. Bei einer Trockenübung vom Trampolin öffnete er bei einem Rückwärtssalto die Schraube zu früh und landete auf Kopf und Nacken. „Es hat im ganzen Körper geknackst", sagte Hausding dem Sport-Informations-Dienst. Die Diagnose: Geprellter Nackenwirbel und Bündelriss im Rückenmuskel. Doch damit noch nicht genug. Hausdings rechter Zeige- und Mittelfinger waren „angetaubt", wie er es selbst ausdrückt. „Die waren wie eingeschlafen und sind nicht mehr aufgewacht. Das hat mir ziemlich Angst gemacht." Und sie haben irre Schmerzen verursacht. „Ich lag abends im Bett und wollte mich am liebsten betäuben", sagt der 30-Jährige. „Ich hatte ein Brennen den ganzen Arm hinunter bis zu den Fingerspitzen, das war die Hölle." Er suchte aus Sorge einen Neurologen auf, seine Freundin musste ihm eine Zeit lang sogar beim Anziehen helfen. Nichts ging mehr von alleine für den Weltklasse-Athleten. „Ich war auf jede Hilfe angewiesen", sagt er, „und ich hatte nur eine Prellung. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es Menschen ergeht, die sich noch schlimmere neuronale Verletzungen zuziehen."
Acht Wochen plagte sich Hausding mit den Schmerzen: „Irgendwann gewöhnt man sich sogar daran." Dann waren sie plötzlich weg, doch Hausding hatte bereits einen Trainingsrückstand angehäuft. Die Leistungen sind im vorolympischen Jahr entsprechend dürftig für einen Mann seiner Klasse. International hat Rekord-Europameister Hausding in dieser Saison bei seinen wenigen Starts noch keine Bäume ausgerissen. Erst bei den Deutschen Meisterschaften Anfang Juni in Aachen kam Hausding wieder in Schwung, er siegte klar vom 1-Meter- und 3-Meter-Brett. Im 3-Meter-Synchronspringen musste er sich mit seinem Partner Lars Rüdiger allerdings mit Platz drei begnügen – das war keine gelungene WM-Generalprobe.
„Ich war auf jede Hilfe angewiesen"
Den Feinschliff für die Weltmeisterschaften holten sich Hausding und die anderen deutschen Wasserspringer beim Vorbereitungslehrgang in China, von dort aus fliegt das Team direkt nach Korea. Körperlich geht es Hausding inzwischen „relativ gut", die Knieschmerzen sind mit reichlich Physiotherapie und einer geschickten Trainingssteuerung in den Griff zu bekommen. „Ich bin im Aufwind", sagt Hausding, den Bundestrainer Lutz Buschkow aufgrund seiner Nehmerqualitäten liebevoll als „Kampfschwein" bezeichnet. Doch für eine Medaille wie bei Olympia 2016 wird es wohl nicht reichen. „Dafür hatte ich zu viele Rückschläge", sagt Hausding. „Mein Primärziel ist es, einen Quotenplatz zu holen." Dafür muss er im 3-Meter-Wettkampf ins Finale der zwölf besten Athleten einziehen – ein realistisches Ziel. „Und wenn ich dann unter die Top Sechs komme, würde ich mich schon tierisch freuen", sagt er.
Einen Quotenplatz im 3-Meter-Synchronspringen mit Partner Lars Rüdiger traut er sich nicht zu, denn dafür müsste das deutsche Duo schon aufs Podest springen. „Und das habe ich bei einer WM nicht mal mit Stephan geschafft", sagt Hausding mit Blick auf seinen alten Synchronpartner Stephan Feck (Leipzig). „Für uns ist wichtig, einen guten Wettkampf abzuliefern und uns bei den Kampfrichtern in Szene zu setzen, damit wir dann im nächsten Jahr beim Weltcup für einen Startplatz bei Olympia mitkämpfen können", sagt Hausding. Im Turm-Synchronspringen startet der Weltmeister von 2013 nicht mehr, seit sein Partner Sascha Klein (Dresden) seine Karriere beendet hat.
„Bleibenden Eindruck hinterlassen"
Doch auch so werden die Weltmeisterschaften für Hausding anstrengend genug, zumal die Vorkämpfe mit dutzenden Startern eine enorme Belastung darstellen. Bei der WM vor zwei Jahren in Budapest dauerte allein der Vorkampf mit 56 Startern knapp vier Stunden. Die langen Wartezeiten vertreiben sich die Sportler mit Handyspielen oder Musikhören. „Die Vorkämpfe bei Weltmeisterschaften im Wasserspringen sind die längsten der Welt, das Schlimmste überhaupt", kritisiert Hausding. Er fordert den Weltverband Fina zu Reformen auf: „Man muss Mittel und Wege finden, dass die Zuschauer nicht vom Sitz fallen, dass die Kampfrichter nicht vom Stuhl fallen." Ansätze gebe es genügend. Er schlägt etwa vor, dass Punkte nicht mehr nach jedem Springen angesagt sondern nur noch angezeigt werden. Würde man den zeitlichen Durchschnitt eines Sprungs auf 35 Sekunden verkürzen, „wäre das Ganze überschaubar". So aber wartet auf die Wasserspringer eine Tortur. Doch auch die wird Hausding klaglos über sich ergehen lassen, so wie all die Schmerzen der vergangenen Jahre. „Leistungssport ist kein Zuckerschlecken, da muss man manchmal auch die Zähne zusammenbeißen", sagt er. Manchmal frage er sich schon, warum er sich das noch antue, gibt er zu. „Aber es ist mein Sport und meine Lebensgrundlage. Ich bin Profi." Und Hausding treibt ein großes Ziel an: Ein Start 2020 in Tokio, es wären seine vierten Olympischen Spiele. „Damit würde ich in der Historie der Wasserspringer in Deutschland herausstechen", sagt er. „Für mich persönlich ist es wichtig, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen." Hausdings Erfolge sind schon jetzt einmalig im deutschen Wasserspringen. 2008 in Peking gewann er mit Klein Silber im Turm-Synchronspringen, fünf Jahre später gelang dem Duo der Gold-Coup bei der WM in Barcelona. In Rio holte Hausding als erster Deutscher seit 104 Jahren eine Olympiamedaille vom 3-Meter-Brett. Außerdem ist seine Erfolgsserie bei Europameisterschaften, bei denen er bei all seinen elf Starts mindestens eine Medaille mit nach Hause gebracht hat, unerreicht. Diese Serie will Hausding im August ausbauen, wenn direkt im Anschluss an die WM die Europameisterschaften in Kiew ausgetragen werden.