In der Union hofft und wartet man auf die Trendwende auf den allerletzten Metern. Kanzlerkandidat Armin Laschet setzt jetzt auf Angriff, um Unionsanhänger zu mobilisieren. Die neue Strategie macht den Urnengang zu einer Richtungswahl.
er im Mai, Juni oder Juli in die CDU-Parteizentrale am Klingelhöfer Dreieck am Rande des Berliner Regierungsviertels kam, staunte nicht schlecht. Mitten im Bundestagswahlkampf ging es beschaulich zu im Adenauer-Haus. Keine aufgeregten Hostessen, keine Jungwahlkampfmanager der JU-Nachwuchsorganisation wuselten in der ersten Etage in der Wahlkampfzentrale umher. Vereinzelt sah man Mitarbeiter in den gläsernen Büros, die ohne sichtliche Regung in ihre Rechner starrten. Schlafwagen-Wahlkampf hautnah. Wozu auch die Aufregung, in den Umfragen lag man damals eh vorn. Auch bei den Ortsterminen mit Armin Laschet hatte man eher den Eindruck, er kommt nur mal eben auf ein kurzes Hallo vorbei. Egal, ob auf der Stadtbrücke von Frankfurt an der Oder oder der Einkaufspassage von Osnabrück – Laschet schreitet hinter seinen Sicherheitsbeamten, umgeben von seinem Wahlkampfteam und im Schlepptau die örtlichen Journalisten. Die Wähler vor Ort bekommen gar nicht mit, dass der Unions-Kanzlerkandidat gerade auf Stimmenfang ist. Die entsprechenden Aufkleber „Laschet kommt" für die Wahlplakate gibt es offenbar bis zum heutigen Tag nicht.
Die Gelassenheit war erklärlich. Im CDU-Wahlkampfteam war man sich im März einig: Die SPD kann eigentlich vernachlässigt werden, Hauptgegner sind die Grünen. Dort, in den Ballungsräumen und Städten, wo die bürgerlichen Wähler die Grünen-Hochburgen bilden, dort muss sich die Union die Stimmen wieder zurückholen. Zum Zeitpunkt, als diese Kampagne festgezurrt wurde, sah es nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Armin Laschet und Annalena Baerbock aus. Die Union in den Umfragen noch Mitte 30 Prozent, direkt gefolgt von den Grünen, die je nach Meinungsforschungsinstitut um die 30 Prozent und darüber lagen. Warum sollte man da also der SPD mit ihren 14, 15 Prozent größere Aufmerksamkeit schenken? Schließlich kamen die Sozialdemokraten über Monate aus diesem Keller nicht raus.
Erinnerungen an Martin Schulz
Dann folgte der Absturz der Grünen in den Umfragen, vor allem durch die vielen Fehler ihrer Spitzenkandidatin Baerbock. Doch die Stimmen landeten keinesfalls bei der Union, wie man es sich im Adenauer-Haus ausgerechnet hatte. Sondern zum einen bei der FDP, aber vor allem bei der SPD. Doch Kanzlerkandidat Armin Laschet stellte weiterhin die Grünen als Hauptgegner in den Fokus der Kampagne. Dann die verheerenden Bilder von Erftstadt, nach der Flutkatastrophe. Bundespräsident Steinmeier kondoliert mit ernster Miene den Hinterbliebenen, versucht, ihnen Mut zuzusprechen. Armin Laschet hinter ihm macht mit seinen Mitarbeitern Mätzchen und lacht. Laschet entschuldigt sich nach seinem beherzten Lachen öffentlich mehrfach. Doch der Trend der Union war ohnehin schon vor dem Lach-Ausrutscher gekippt, jetzt nahm dieser an Fahrt auf. Der Beginn eines gnadenlosen Absturzes in den Umfragen, der erst in der Woche vor der Bundestagswahl gestoppt werden konnte, bei 19 Prozent. Erinnerungen an den glücklosen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz 2017 werden wach. Für den Wahlkampfexperten Frank Staus der „Worst Case", so einen Trend bekomme man faktisch aus eigener Kraft wenige Wochen vor dem Urnengang nicht mehr gestoppt. Helfen könne nur, wenn der politische Gegner der Union, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, Fehler machen würde. Doch der tat der Union diesen Gefallen natürlich nicht. Scholz ist gegenüber Laschet klar im Vorteil, er muss nur noch abwarten. Der Scholz-Minimalismus in der Präsentation ist nun Trumpf.
Während sich sein Unions-Gegenüber abstrampeln muss, auf die Gefahr hin, weitere Fehler zu produzieren. Erst Mitte August kommt nun der Versuch der CDU-Wahlkämpfer die Kampagne umzusteuern. Dabei fällt ihnen ein beliebter konservativer Wahlkampftrick ein: Die Rote-Socken-Kampagne. Schon Konrad Adenauer war damit erfolgreich, „keine Experimente". Helmut Kohl hat damit 1994 erfolgreich Wahlkampf gemacht. Kohl konnte die Wahl entgegen dem damaligen Trend noch mal gewinnen. Allerdings war die Welt damals polarisierter und die Wähler waren noch tief beeindruckt vom „Gespenst des Kommunismus". Der neue politische Gegner von CDU/CSU ist nun nicht nur SPD-Kanzlerkandidat Scholz, sondern gleich die ganze Linkspartei mit. Der reguläre CSU-Parteitag zwei Wochen vor der Bundestagswahl in Nürnberg wird diesbezüglich umfunktioniert. Markus Söder und Armin Laschet, gemeinsam auf Kommunistenjagd, warnen eindringlich vor Rot-Grün-Rot-Gespenstern. Doch die Kampagne könnte auch schiefgehen. Die Linkspartei hat bislang eigentlich in diesem Wahlkampf überhaupt keine Rolle gespielt. Nun, dank der Rote-Socken-Kampagne, findet auch die Linke in der Diskussion statt. Aufatmen nicht nur bei Spitzenkandidat Dietmar Bartsch, der Fraktionschef der Linken im Bundestag bedankt sich umgehend bei CDU-Wahlkampfchef und Generalsekretär Paul Ziemiak.
Was bleibt, ist Lagerwahlkampf
In den Umfragen lag die Linke in der Folge tatsächlich um ein bis zwei Prozent höher als noch vor der Unions-Kampagne. Der Union hat der nun angezettelte Lagerwahlkampf gegen den „Linksruck" tatsächlich nicht merklich geholfen und der SPD schon gar nicht geschadet. Dabei versucht sich jetzt Armin Laschet in diversen Talkshows in einer Rolle, die ihm eigentlich nicht liegt: Er versucht zu spalten, anzugreifen, in die Enge zu treiben. Wobei Laschets politisches Selbstverständnis das Zusammenführen und Kompromisse finden ist. Und Olaf Scholz lässt ihn verbal in der Koalitionsfrage mit der Linkspartei am langen Arm verhungern, mit einem nachvollziehbaren Argument: „Der Wähler entscheidet am Ende, mit welchen Mehrheiten sich eine stabile Regierung bilden lässt".
An dieser Stelle kommt dann auch der gerade frisch in seinem Amt bestätigte CSU-Chef Markus Söder ins Spiel. Sollten sich die derzeitigen Umfragen am Wahlabend als Ergebnis bestätigen, ist es gut denkbar, dass Armin Laschet gar kein Bundestagsmandat erringt. Zwar steht er auf der NRW-Landesliste auf Platz 1, aber er hat in seinem Wahlkreis Aachen 1 auf das Direktmandat verzichtet. Doch wie es derzeit aussieht, könnte es gut sein, dass in Nordrhein-Westfalen die Direktkandidaten der CDU durchmarschieren und damit die Landesliste nicht zum Tragen kommt. Laschets Politikerkarriere wäre damit eigentlich erledigt, denn er hat klar gesagt, „mein Platz ist in Berlin". Wenig glaubwürdig wäre es, wenn er dann nach der verlorenen Bundestagswahl zur Tagesordnung übergeht und einfach weiterhin Ministerpräsident in Düsseldorf bliebe. Damit wäre er neben Landesvater ein mehr als angeschlagener CDU-Chef, obendrein sehr wahrscheinlich auf Abruf. Darauf spekuliert man nun bei der CSU in Bayern. Denn bei möglichen Sondierungen nach dem 26. September ist Markus Söder dann in der Unionsfamilie der starke Mann und als CSU-Chef auf jeden Fall dabei. Söder könnte sich also doch noch an Laschet vorbei zum neuen Kanzler aufschwingen.
Allein solche Denkspiele in den eigenen Reihen zeigen, dass man in der Union über jeden sich bietenden, politischen Strohhalm glücklich ist, um sich doch noch an irgendwelche Perspektiven nach der Wahl klammern zu können. Doch das letztgenannte Szenario setzt eines voraus: Die Union muss vor der SPD liegen und sei es auch nur im Promillebereich.