Die aus dem Programm genommenen Grid Girls waren heißes Thema in der ereignisarmen Rennpause. Die Verbannung der hübschen Nummern-Mädels aus der Startaufstellung schlug hohe Wellen.
Lange ist es her: „Sag’ mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben, was ist gescheh’n, wann wird man je versteh’n?“, fragte 1962 die Künstlerin Marlene Dietrich in ihrem Welthit. 55 Jahre später fragen sich Formel-1-Fans, Fahrer, Publikum und Fernsehzuschauer leicht abgewandelt: Sag’ mir, wo die Grid Girls sind, wo sind sie geblieben, was ist gescheh’n, wann wird man je versteh’n? Bis heute ist die Entscheidung des Formel-1-Vermarkters Liberty Media umstritten. Seit Anfang der 60er-Jahre sind die äußerst attraktiven jungen Damen mit dem Namens- und Nummernschild der Fahrer fester Bestandteil der Formel 1. Mehr als fünf Jahrzehnte zierten sie die Startaufstellung und gehörten zur Königsklasse des Motorsports wie der Geruch zu Benzin und verbranntem Gummi.
Die leicht bekleideten Damen mit dem strahlendem Lächeln waren ein echter Hingucker. Schon bei ihren Trainingsauftritten hatten sie im Nu die Blicke der Zuschauer auf sich gezogen. Auch die Fahrer, in festen Händen oder verheiratet, waren dem Anblick der langbeinigen Schönen im knappen Outfit eines Sponsors nie abgeneigt. In der Startaufstellung posierten die Grid Girls bisher vor jedem Grand Prix mit Namens- und Startnummer-Schildern vor den Piloten, vor der Fahrerparade standen sie Spalier, und nach dem Rennen applaudierten sie den drei Schnellsten zur Siegerehrung. Doch mit dieser Saison ist es aus und vorbei mit dem Auftreten der attraktiven Models. Die neuen Machthaber haben mit einer Tradition gebrochen, die in der Szene für großes Unverständnis sorgte, nicht nur bei Ex-Zampano Bernie Ecclestone und Niki Lauda. Die Kritik reißt nicht ab.
„Wie dumm kann man nur sein? Haben die einen Vogel?“
Die Entscheidung, die jungen Damen nicht mehr auftreten zu lassen, rechtfertigte Sean Bratches, Marketing-Boss des US-Medienunternehmens Liberty Media mit dem gesellschaftlichen Wandel. Leicht bekleidete Mädchen als Nummern-Girls neben den Rennwagen aufmarschieren zu lassen, sei nicht mehr zeitgemäß. Sie passen nicht in das neue, familienfreundliche, politisch korrekte Marketingkonzept der neuen Formel-1-Rechte-Inhaber von Liberty Media. „Wir sind der Meinung, dass dieser Brauch nicht mit unserer Markenphilosophie und Strategie einhergeht. Grid Girls stehen generell klar im Widerspruch zu den Gesellschaftsnormen der heutigen Zeit“, erklärte Bratches in der Liberty-Presseaussendung. Weiter heißt es: „Wir denken nicht, dass die Praktik angemessen oder für die Formel 1 relevant ist.“
Niki Lauda hält diese Auffassung für „völlig unverständlich“. Für den Oberaufseher des F1-Mercedes-Teams entsteht der Eindruck, Männer hätten über die Köpfe von Frauen hinweg entschieden. „Damit tut man der Formel 1 und vor allem auch den Frauen keinen Gefallen. Frauen emanzipieren sich, sie tun das sehr gut, und vieles entwickelt sich in die richtige Richtung. Wie dumm kann man nur sein? Haben die einen Vogel?“, echauffierte sich Lauda. Ex-Promoter Bernie Eccelstone, vom neuen Eigner vor einem Jahr gnadenlos vom Hof gejagt, gehört zu den schärfsten Kritikern. Der 87-jährige Brite ätzt: „Diese Mädchen waren doch Teil der Show. Die Fans lieben den Glamour. Die Fahrer mögen sie, und das Publikum mag sie. Ich kann nicht erkennen, wie ein gut aussehendes Girl, das mit einem Fahrer und einer Nummer vor einem Formel-1-Auto steht, jemanden stören kann.“
„Weiterer Rückschritt“
Renault-Pilot Nico Hülkenberg hält den Verzicht auf die Grid Girls für einen „weiteren Rückschritt“ in Sachen Showbusiness. „Ein paar heiße Mädels vor dem Auto, das ist doch für die ganze Szene nur förderlich“, sagte der Emmericher vom Niederrhein dem Magazin „No Sports“. Als vor einigen Jahren in Monaco die Grid Girls durch Grid Boys ersetzt wurden, stieß diese Alternative und Umbesetzung auf wenig Gegenliebe. „Das Auto zu parken und auf den Hintern von einem George oder Dave zu gucken, hat mir nicht gefallen“, sagte der damalige Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel. Auch die Betroffenen selbst beklagen die Entscheidung. „Wir haben einen gut honorierten Job verloren. Niemand hat uns herabgesetzt oder belästigt. Es sollte doch unsere Entscheidung sein, als was wir arbeiten“, sagte eine Studentin, die ihr Studium unter anderem als Grid Girl finanzierte. In den sozialen Netzwerken entfachte die Entscheidung der Formel-1-Bosse einen wahren Shitstorm. Vor allem der männlichen Zielgruppe ist der Eingriff in die Tradition ziemlich sauer aufgestoßen.
Auch die internationale Presse lässt die Verbannung der heißen Grid Girls nicht kalt. Die „Gazzetta dello Sport“ schreibt ganz schnörkellos, kurz und bündig: „Keine Miniröcke, High Heels und atemberaubende Ausschnitte mehr in der Startaufstellung. Die Formel 1 hat genug von Grid Girls.“ Einen etwas kuriosen, wenn auch skurrilen Vergleich veranlasst das italienische Fachmagazin „Autosprint“ zu folgender Feststellung: „Napoleon war so klein und nur auf St. Helena ohne seine Armee. Sinnbild eines Genies, Symbol einer Ära. Und nun werden unsere Fahrer in der Startaufstellung so klein sein, ihrer Statuen, den Grid Girls, entledigt. Sie wurden von Liberty Media verbannt.“ Die „Times“ kommentiert auf ihre Art: „Auf Nimmerwiedersehen, Grid Girls. Die Formel 1 braucht sie nicht, sie schafft in dieser Saison die Grid Girls ab. Das hat eine hitzige Debatte zwischen Für- und Gegensprechern entfacht, aber man muss dumm wie eine Kurbelwelle sein, um zu glauben, dass an Frauen mit Schirmen, die auf ein Sportevent einstimmen, nichts rückständig ist.“
Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet über ein „ganz großes Drama“. Sie schreibt: „Keine leicht bekleideten Frauen mehr auf der Rennstrecke. Es ist, wenn man den ersten Reaktionen glauben mag, das ganz große Drama. Nun, die Frau, die im knappen Outfit für Fotos lächelt, während der Mann für sportliche Höchstleistungen verantwortlich ist, ist ja tatsächlich nicht ganz 2018. Aber von Bedeutungslosigkeit kann ganz offensichtlich keine Rede sein. Auch 2018 stöckeln halbnackte Frauen mit Nummernschildern um Boxringe und schütteln Pompons vor Footballspielen.“
„Künftige Champions neben ihren Helden“
Als Ersatz für die Grid Girls werden mit Saisonauftakt in Melbourne Grid Kids, in der Startaufstellung zu sehen sein. Junge Rennfahrer sollen dadurch für ihre weitere Karriere motiviert werden. So sieht es jedenfalls der neue Eigentümer Liberty Media. Die jungen Nummern- und Schilderhalter werden bei jedem Rennen von den nationalen Automobilverbänden oder per Los ausgewählt. Die Kids sollen bereits im Kartsport oder in Juniorenserien unterwegs sein. Damit möchte Liberty die Zeremonie vor dem Start wieder relevanter und interessanter für die Fans machen.
„Die Kids stehen neben ihren Helden, beobachten die Vorbereitung auf das Rennen – die Elite des Motorsports“, sagt Marketingchef Bratches. „Das wird eine unvergessliche Erfahrung für sie und ihre Familien. Eine Inspiration, weiter zu fahren, zu trainieren und zu lernen, damit sie davon träumen können, eines Tages auch dort zu stehen. Welcher Weg wäre besser, um die nächste Generation an Formel-1-Helden zu inspirieren?“ In der gleichen Pressemitteilung von Liberty Media meldet sich auch Jean Todt, Präsident des Automobil-Verbandes (FIA), zum Thema Grid Kids zu Wort: „Die Formel 1 ist die Spitze des Motorsports und der Traum von jedem Rennfahrer, der in der Formelsport-Pyramide der FIA unterwegs ist. Wir freuen uns daher, ihnen diesen Traum ein bisschen näher zu bringen, indem wir unseren zukünftigen Champions die Möglichkeit geben, vor dem Rennstart neben ihren Helden in der Startaufstellung zu stehen.“
Die zusammen von der Formel 1 und der FIA ins Leben gerufene Partnerschaft namens Grid Kids ist mit dem aus dem Fußball bekannten Konzept verwandt, bei dem der Fußballnachwuchs beim Einlaufen der Weltstars auf das Spielfeld dabei sein darf. Die Formel 1 will nun dem jeweiligen nationalen Motorsport-Nachwuchs diese Möglichkeit geben.
Die Formel 1 will sich mit den Grid Kids offenbar einen jüngeren Anstrich verpassen und schon die ganz Kleinen für den Motorsport begeistern.