Mit dem Großen Preis von Australien geht ein Triumvirat des US-Medienkonzerns Liberty Media in seine zweite Formel-1-Saison. In seinem Premierenjahr hat das Dreigestirn die Königsklasse reformiert. Nicht alles war gut, nicht alles schlecht. FORUM zieht eine Bilanz.
Mit Liberty Media ist Bewegung in die Formel 1 gekommen. Am 23. Januar 2017 segnete der Automobil-Weltverband FIA die vier Milliarden Euro schwere Übernahme der Königsklasse durch das Medienunternehmen aus dem US-Staat Colorado ab. Die Machthaber des neuen Eigentümers bilden ein Triumvirat. Chef dieses Dreigestirns ist Geschäftsführer Charles G. Carey, genannt Chase. Als Markenzeichen trägt Carey einen grauen, altmodischen Zwirbelbart. Darnter verbirgt sich eine Narbe, die sich der 64-Jährige nach einem schweren Autounfall zugezogen hat. Das Trio komplettieren Marketingspezialist Sean Bratches (57), in Berlin geboren („ich habe einen Großteil meiner Familie in Deutschland“), und der ehemalige Formel-1-Sportchef Ross Brawn.
„So viel Spannung reinbringen, wie nur geht“
Der 63-Jährige ist der Hoffnungsträger des Trios. Der kauzige Brite versteht das Geschäft wie kein anderer. Brawn war schließlich das Superhirn, der Michael Schumacher bei Benetton und Ferrari zu sieben WM-Titeln gelenkt hat. Mit seinem eigenen Rennstall Brawn GP hat er 2009 die Fahrer-WM mit Jenson Button gewonnen. Anschließend fungierte Brawn bei seinem verkauften Rennstall an Mercedes als Teamchef bis zu einem nicht ganz geräuschlosen Abgang Ende 2013. „Wir wollen sicherstellen, dass wir alles Mögliche für das Geschehen auf der Strecke unternehmen und so viel Spannung reinbringen, wie nur geht. Wir müssen die Dinge weiter verbessern. Es gibt Sachen, die wir unternehmen können“, steckte Boss Carey die Ziele für Brawn ab.
Mit seinen beiden Spezialisten hat der Amerikaner Chase Carey, ehemaliger Absolvent der Harvard-Eliteuniversität, die Königsklasse mit umfassenden Reformen umgekrempelt. Die Formel 1 sollte eine neue Hoch-Zeit erleben. Ziel war es, frischen Wind in ein miefiges System zu bringen, ihm einen modernen Anstrich zu verpassen und alte Zöpfe abzuschneiden. Erste Amtshandlung: Nach dem Mega-Deal wurde der vier Jahrzehnte lange Herrscher Bernie Ecclestone vom Hof gejagt, eiskalt abserviert und vor die Tür gesetzt. Die One-Man-Show (Ein-Mann-Show) in Person des 86-jährigen Ex-Strippenziehers war Knall auf Fall, von heute auf morgen, vorbei. Seine Entmachtung kommentierte Ecclestone, das wandelnde Sinnbild der alten Formel 1, mit der ihm eigenen Ironie: „Wer sich ein neues Auto kauft, will es auch fahren.“ Seither lässt er kein gutes Haar an seinen „Königsmördern“ und ihren Ideen.
Eine Formel 1 ohne den kleinen, schmächtigen aber von seinen Machenschaften her großen Diktator – ist das überhaupt möglich? Bricht das Ecclestone-System zusammen? Wird die Formel 1 ohne den Mann mit dem zerknitterten Gesicht und der grau-weißen Pilzkopffrisur von den neuen Machern an die Wand gefahren? Die Antwort auf diese bangen Fragen, die sich so mancher Fan stellte, lautet ganz einfach: Es gibt sie noch, die Formel 1. Nur in einer anderen Form. Überraschungen sind nicht ausgeblieben –
sowohl positive als auch negative.
„Die Formel 1 hat ein großes Potenzial“
„Die Formel 1 hat ein großes Potenzial mit zahlreichen ungenutzten Möglichkeiten“, hat Cary bei seinem Amtsantritt erkannt. Ein wichtiger Punkt war dabei, die digitalen Medien zu nutzen, die Ecclestone vernachlässigt hat. Die sozialen Netzwerke waren ihm ein Dorn im Auge, er sah sie als Konkurrenz zu den Fernsehstationen. Doch für die Generation der sogenannten Millennials ist die digitale Welt undenkbar. Mehr als zehn Millionen Nutzer waren im Rennjahr 2017 auf der Formel-1-Website, auf Facebook, Twitter, Youtube, Whatsapp, Instagram und Snapchat unterwegs. Die Zuwächse lagen bei bis zu 200 Prozent. Im Fahrerlager dürfen Teams, Fahrer und Sponsoren eigene Videoclips produzieren oder live übertragen.
Selbst beim Fahrer-Briefing mit Renndirektor Charlie Whiting dürfen die Fans mittlerweile Mäuschen spielen, mehrere Kameras zeichnen alles auf. Fernsehsender verzeichneten mit fünf Prozent mehr Zuschauern ebenfalls einen Zuwachs, an die Rennstrecken kamen acht Prozent mehr Menschen, zwei Drittel der 20 Veranstalter meldeten steigende Besucherzahlen, verkauften mehr Tickets als im Jahr zuvor. Nach einer Auflistung von Liberty Media waren an fünf Schauplätzen die Zuschauerzahlen 2017 gegenüber 2016 rückläufig in Sotschi (-5,1 Prozent), Silverstone (-1,6 Prozent), Suzuka (-5,5 Prozent ), Austin (-4,6 Prozent) und Mexiko-City (-0,9 Prozent).
„Vom Showbusiness verstehen sie etwas“
„Unser Sport muss wieder großartig gemacht werden. Ich denke, Liberty Media kann ein wenig Würze hineinbringen und das Ganze sogar ein wenig amerikanisieren, vom Showbusiness verstehen sie ja etwas“, twittert Weltmeister Nico Rosberg und heutiger Rennrentner vor Beginn der Saison 2017. In der Tat: Dem Führungs-Triumvirat ist es gelungen, die Formel-1-Wochenenden zu „würzen“ und zu echten Event-Highlight zu gestalten. „Wir wollen die Grenze zwischen Sport und Show durchbrechen“, so das Credo von Marketingchef Bratches. Und das hat funktioniert. Das Formel-1-Management hat Fahrer, Teamchefs, Mechaniker und Ingenieure in Fan-Aktionen am Rande der Strecke eingebunden. Doppelsitzer-Fahrten, Boxenstopp-Wettbewerbe mit Reifenwechsel unter den Fans, Autogrammstunden und Benzingespräche mit den Fahrern im Fan-Village sind nur ein paar Beispiele, die Nähe zu den Besuchern zu demonstrieren.
100.000 Zuschauer strömten in London zum Trafalgar Square, wo die Formel 1 sich mit fast allen Fahrern (Hamilton fehlte) und einigen Autos präsentierte, um Lust auf den England-Grand-Prix zu versprühen. Da kam Freude auf. Der Italien-Grand-Prix wurde ähnlich angeheizt. In Monza war eine Ferrari-Ausstellung zum 70-jährigen Firmenjubiläum der Roten zu bestaunen. In diesem Jahr soll in Marseille auf den wieder eingeführten Grand Prix Frankreich in Le Castellet aufmerksam gemacht werden, ebenso in Shanghai auf den Großen Preis von China.
Auch Teams wie Mercedes versuchten immer wieder, ihren Teil dazu beizutragen. Beim abgesagten Freitagstraining in Shanghai ging Lewis Hamilton mit Kappen an die Haupttribüne und warf sie unter die Fans. McLaren-Pilot Fernando Alonso mischte sich in Barcelona unters Volk, sowie Red-Bull-Pilot Max Verstappen bei seinem Heimrennen in Spa. An den Strecken wurden die Fanzonen ausgeweitet, die Fahrer konnten durch ein Spalier wie bei einer Preisverleihung ins Fahrerlager gelangen. Die Formel 1 ist menschlicher geworden. Das beste Beispiel für diese neue Umgangsform lieferten die neuen Formel-1-Hausherren selbst. Als die Bilder eines kleinen weinenden Jungen auf der Tribüne des Circuit de Catalunya nahe Barcelona um die Welt gingen, reagierten sie blitzschnell. Der kleine Thomas war zu Tode betrübt, weil sein Idol, Ferrari-Pilot Kimi Räikkönen, gleich zu Rennbeginn ausgefallen war. Noch während des Rennens wurde er mit seinen Eltern ins Fahrerlager gebracht, um „seinen“ Kimi zu treffen und ihm die Hand zu schütteln. Das war beste Werbung für die Formel 1. Unter Bernie Ecclestone wäre das eine unmögliche Aktion gewesen. Er hätte der Familie wahrscheinlich eine Rechnung über ein paar Tausend Euro ausgestellt. So aber freuten sich Millionen von Fans mit dem weinenden Ferrari-Jungen in den sozialen Netzwerken. „Die Fans sind uns unglaublich wichtig“, so Carey in der „Sport Bild“. Damit hat er sich gegen den Vorwurf gewehrt, die neuen Eigentümer würden die Basis vergessen.
Für ein weiteres Highlight-Event schwebte Carey als Beispiel der Super Bowl in Amerika vor. Das Endspiel der National Football League (NFL) ist weltweit eines der größten Einzelsportereignisse und erreicht in den Vereinigten Staaten regelmäßig die höchsten Fernseh-Einschaltquoten des Jahres. Beim Großen Preis von Amerika in Austin war es dann doch des Guten zu viel. Die Macher mussten deftige, heftige Kritik einstecken. Die Fahrer wurden durch künstlichen Nebel vorbei an attraktiven Cheerleadern in die Startaufstellung beordert, namentlich aufgerufen und vorgestellt von Box-Ansager Michael Buffer mit seinem unnachahmlichen Schlussakkord bei den Nachnamen der Protagonisten. Das war nicht jedermanns Geschmack. Hamilton fand diese Show zwar „echt cool“, für Ferrari-Star Sebastian Vettel war sie typisch amerikanisch und Alonso hielt die gekünstelte Präsentation einfach nur für einen „schlechten Scherz“.
„Wir haben viele neue Dinge getestet“
Auch das Publikum und die deutschen TV-Zuschauer waren geteilter Meinung. Das Qualifying wurde auch noch nach hinten verlegt, damit mehr Fans das anschließende Konzert von Justin Timberlake besuchen konnten. Und die Teamchefs weigerten sich im Vorprogramm, auf künstlichen Bullen zu reiten. Stimmen wurden laut, der Hauptvorwurf lautete, Liberty wolle den Sport amerikanisieren, er stehe nicht mehr im Mittelpunkt. Die neue Führung nimmt’s gelassen. „Wir haben viele neue Dinge getestet. Was gut war, führen wir fort, was nicht funktioniert hat, lassen wir sein“, so das simple Fazit der Macher. Was sie aber hätten sein lassen sollen: Die Verbannung der Grid-Girls aus der Startaufstellung. Es war das Aufregethema in der rennlosen Zeit. Die Show war seit 50 Jahren gut für Fahrer und Fans, die sich fragen, warum das Dreigestirn die „gute Sache“ nicht fortführt.
Wagen wir noch einen Blick in die Zukunft, die jetzt schon Unbehagen unter den Teams hervorruft. Für Liberty ist beim Rennkalender noch Luft nach oben. Er soll bis zu 25 Rennen pro Saison aufgestockt werden. Dabei werden Weltmetropolen wie New York, Miami, Los Angeles und Las Vegas in Erwägung gezogen. Europa soll aber gleichzeitig als Kernmarkt erhalten werden mit den Traditionsstrecken Monza, Spa, Silverstone und Hockenheim. Viele Teams ächzen schon jetzt ob der vielen Reisen. Und: Die Formel 1 soll durch Budgetdeckelung kostengünstiger werden. Außerdem: Motoren und Technik sollen einfacher und somit die Chancengleichheit auf einen Sieg für alle größer werden. Den großen Drei – Mercedes, Ferrari, Red Bull – stößt dieser Liberty-Plan jetzt schon ziemlich sauer auf.