Im kommunikativen Miteinander wird zunehmend scharf geschossen. Wann Worte zu Warnzeichen werden und warum wir unsere eigene Sprache niemals außer Acht lassen sollten.
Der Ton in Politik und Gesellschaft wird rauer. Politiker aller Parteien beklagen den neuen Umgang im Parlament, seit dort die AfD Einzug hielt. Auch abseits der politischen Bühne zeugen Briefe, E-Mails und Kommentare in den sozialen Netzwerken von zunehmenden Anfeindungen gegen Politiker. Aber nicht nur sie sind davon betroffen. Die viel beschriebenen Shitstorms etwa können so ziemlich jeden treffen, ermöglicht die Anonymität im Netz doch jedem Gedanken und jeder Stimmung, ungefiltert freien Lauf zu lassen.
Zwischen zwei und vier Stunden am Tag beschäftigt sich die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali damit, den Dialog mit Pöblern und Rechtsextremen zu suchen. Immer wieder wird sie mit Beschimpfungen wie „Merkel-Nutte" und „GEZ-Schlampe" konfrontiert. Nachrichten wie „Fick dich, du Flüchtling. Dein Name ist schon ekelhaft genug. Verlasse unser Deutschland" ständen bei ihr an der Tagesordnung. Dennoch versucht sie, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Eine Anstrengung, die längst nicht jeder unternimmt.
Dabei sollten uns solche Veränderungen aufhorchen lassen. Ein Wort ist nicht einfach nur ein Wort. „Worte sind die mächtigste Kraft, die der Menschheit zur Verfügung steht. Wir können diese Kraft konstruktiv mit Worten der Ermutigung oder destruktiv mit Worten der Verzweiflung nutzen. Worte haben Energie und Kraft, mit der Fähigkeit zu helfen, zu heilen, zu behindern, zu verletzen, zu erniedrigen und zu demütigen", schreibt der Rabbiner Yehuda Berg. Nicht umsonst stand der diesjährige internationale Holocaust-Gedenktag unter dem Motto „Die Macht der Worte". Gerade Überlebende des Holocausts haben die Erfahrung gemacht, dass es oft nicht nur beim bloßen Wort bleibt. Auf verbale Attacken folgen nicht selten physische. „Während Hassreden und Anstiftung viel zu oft als bigottes Schimpfen oder bloß schmerzhafte Worte abgetan werden, kann es auch als wichtiges Warnzeichen für viel schwerwiegendere Konsequenzen dienen", sagt der Präsident des Jewish European Congress Dr. Moshe Kantor. Tatsächlich gingen fast jedem Völkermord, ethnischen Säuberungen oder interethnischen Konflikten in der modernen Geschichte gewalttätige Worte voraus. Die Hetzrede nahm im nationalsozialistischen Deutschland, in Ruanda oder auch im ehemaligen Jugoslawien zu. „Was auch für alle diese Fälle zutrifft, ist, dass die Anstiftungen und die Hassrede weit vor Beginn der Gewalt bekannt waren – doch wurden sie weitgehend ignoriert oder abgetan", sagt Dr. Moshe Kantor.
Ein Wort ist nicht einfach nur ein Wort
Während des Holocaust nannten die Nazis die Juden Ratten, die Hutus, die am Völkermord in Ruanda beteiligt waren, nannten die Tutsis Kakerlaken, und die Sklavenhalter in der Geschichte betrachteten die Sklaven als untermenschliche Wesen. David Livingstone Smith, Direktor des Institutes für Kognitionswissenschaften und Evolutionspsychologie erklärt in seinem Buch „Less Than Human: Why We Demean, Enslave, and Exterminate Others" die Psychologie der Gräueltaten. Der Psychologe argumentiert, dass erst die Herabwürdigung des anderen Gewalt ermögliche. „Psychologisch ist es sehr schwierig, ein menschliches Wesen kaltblütig und aus der Nähe zu töten oder ihm Grausamkeiten zuzufügen. Entmenschlichung öffnet die Tür zu Gewalt und Genoziden. Sie hilft, die tiefen, natürlichen Hemmungen gegen ein solches Verhalten zu verlieren."
Entmenschlichung, also die Betrachtung eines anderen Wesens als weniger als menschlich, fände aber bei Weitem nicht nur zu Kriegszeiten statt,
erläutert Nick Haslam, Psychologieprofessor der University of Melbourne. „Es passiert genau hier, genau jetzt. Und jeden Tag fallen gute Menschen, die sich selbst nicht als vorurteilsbehaftete Fanatiker sehen, dem zum Opfer."
Seit Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt wurde, konnten beispielsweise amerikanische Forscher um den Psychologen Nour Kteily von der Northwestern University nachweisen, dass Amerikaner Muslime und mexikanische Immigranten zunehmend entmenschlichen. In Kteilys Studien wird den Teilnehmern – typischerweise weißen Amerikanern – das Bild eines menschlichen Vorfahren gezeigt, der langsam lernt, auf zwei Beinen zu stehen und vollständig menschlich zu werden. Dann werden sie aufgefordert, Mitglieder verschiedener Gruppen – wie Muslime, Amerikaner und Schweden – zu bewerten, wie sie sich auf einer Skala von 0 bis 100 entwickelt haben. Viele Leute in diesen Studien geben Mitgliedern anderer Gruppen eine perfekte Punktzahl, 100, völlig menschlich. Häufig aber bringen Teilnehmer verschiedene Gruppen Tieren näher.
In früheren Studien gaben amerikanische Teilnehmer eine mittlere Bewertung von 78 für Muslime und 84 für mexikanische Immigranten an, deutlich unter der 92er-Bewertung für Amerikaner. In einer Studie gaben die Ungarn für Roma durchschnittlich 29 Punkte.
Diese Ergebnisse zeugten von einer unzensierten Bereitschaft, marginale Gruppen als bestialisch, primitiv und barbarisch zu betrachten, sagen die Forscher. In ihren aktuellsten Studien konnte das Forscherteam zeigen, dass die Entmenschlichung im Zuge der Wahl von Donald Trump zunahm. Die Bewertung von Muslimen lag kurz nach der Wahl bei 70 und die von mexikanischen Immigranten bei 75.
Entmenschlichung würdigt gewisse Gruppen stark herab
Politische Rhetorik wie die von Donald Trump klänge bei Menschen an, die einige Gruppen nicht nur als sozial marginal, sondern auch als marginal menschlich betrachten. Diese entmenschlichenden Wahrnehmungen unterstützen feindselige und ausgrenzende Politik. Diejenigen, die entmenschlicht werden, reagieren mit ihrer eigenen Feindseligkeit und ziehen sich aus dem Gesellschaftsvertrag zurück. „Und plötzlich ist das ganze Land ein gefährlicherer Platz für alle", schließen die Forscher.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese Form des binären Denkens, also „Ich habe Recht, du liegst falsch. Ich bin gut, du bist schlecht. Ich bin überlegen, besser als du. Du bist minderwertig, weniger als ich" angeboren ist und im menschlichen Überlebensinstinkt wurzelt. Eine der größten Antreiber sei die Verbreitung des Glaubens, dass „du entweder mit uns oder du gegen uns bist", sagt die Forschungs-Professorin Brené Brown von der University of Houston. „Das ist eine emotionale Linie, die wir von Politikern, Filmhelden und Schurken regelmäßig hören. Sie ist einer der effektivsten Spalter, und in 95 Prozent der Fälle ist es eine emotionale und leidenschaftliche Darstellung von Bullshit."
Genauso wie der Mensch über die mentale Fähigkeit zur Entmenschlichung verfügt, verfügt er aber auch über mentale Programme, die Vertrauen und Verständnis schaffen. „Wir sind alle anfällig für die langsame und heimtückische Praxis der Entmenschlichung, deshalb sind wir alle dafür verantwortlich, sie zu erkennen und zu stoppen", sagt Brown. Dazu müsse man sein Leben beobachten: „Wie organisiere ich mich in In- und Out-Gruppen? Für wen habe ich Verachtung? Wen behandele ich mit moralischer Ausgrenzung?" Den Dialog zu suchen sei hilfreich, oftmals aber nicht ganz einfach. Mehr als alles andere sei es von Bedeutung, die eigene Sprache zu reflektieren. Worte der Abscheu seien immer ein Zeichen von entmenschlichendem Verhalten. Entmenschlichung in der Sprache müsse in allen Fällen und niemals selektiv abgelehnt werden: „Wenn der Präsident der Vereinigten Staaten Frauen Hunde nennt oder darüber spricht, an ihre Pussy zu greifen, sollte uns ein Schauer den Rücken runterlaufen und Widerstand durch unsere Adern fließen. Aber wenn die Leute den Präsidenten der Vereinigten Staaten ein Schwein nennen, sollten wir diese Sprache unabhängig von unserer Politik ablehnen und einen Diskurs verlangen, der die Menschen nicht unmenschlich macht", sagt Brown.
Es ist hilfreich, die eigene Sprache zu reflektieren
Die US-amerikanische Professorin und Bürgerrechtlerin Dr. Maya Angelou prophezeite gar einst, dass die Menschen irgendwann in der Lage seien, die Kraft ihrer Worte zu messen. „Worte sind Dinge. Seien sie vorsichtig, jemandes Namen zu beschmutzen, sexuelle oder rassistische Herabwürdigungen zu nutzen. Eines Tages werden wir in der Lage sein, die Kraft der Worte zu messen. Ich glaube, sie sind Dinge. Sie stehen an den Wänden, sie stehen in der Zeitung. Sie schleichen sich in Ihren Teppich und in Ihre Polster und in Ihre Kleider und schließlich auch in Sie."