Hockenheim ist an diesem Sonntag für Sebastian Vettel und Nico Hülkenberg ein Heimrennen. Die badische Traditionsstrecke ist wohl letztmals Station in der Formel 1. 2020 werden die Piloten auf neuem Terrain in Zandvoort/Niederlande und Hanoi/Vietnam ihre Runden drehen.
Deutschland nach dem Hockenheim-Rennen 2019 für immer und ewig ohne Grand Prix in der Formel 1? Kaum denkbar. Immerhin darf sich die Autonation doch mit einem ehemaligen siebenfachen Weltmeister Michael Schumacher, einem viermaligen Champion Sebastian Vettel und einem Einmal-Weltmeister Nico Rosberg rühmen. Und mit dem Nürburgring und dem Hockenheimring stehen zwei legendäre Rennstrecken zur Verfügung. Nach 78 Rennen auf deutschen Strecken – 40 Mal in der Eifel, 37 Mal in Hockenheim, einmal auf der Avus in Berlin – soll Schluss sein.
Es geht um die Zukunft der Formel-1-Strecken. Um die Eroberung der Märkte in fernen, fremden Ländern, um die wunderbare Geldvermehrung. Deutschland könnte in diesem Jahr zum letzten Mal einen Grand Prix in der Formel 1 veranstalten. Kein Geringerer als Sportchef Toto Wolff von F1-Branchenprimus Mercedes sieht die Zukunft des deutschen Grand Prix als sehr gefährdet. Der Österreicher sagt, dass „die Chancen von Hockenheim in Zukunft schlecht stehen. Der Deutschland-Grand-Prix wird 2019 wahrscheinlich zum letzten Mal stattfinden." Wie kommt es dazu? Wie immer spielt in diesem Geschäft das Geld die alles entscheidende Rolle. „Der Konkurrenzkampf um die begehrten Plätze im Kalender ist hart, und ich fürchte, Hockenheim kann sich das nicht leisten. Für uns ist das nicht schön, denn wir haben in Deutschland viele Fans und unser Hauptquartier, die Daimler-Zentrale in Stuttgart, ist gerade mal um die 100 Kilometer vom Hockenheimring entfernt", so Wolff.
Wer aber im Kampf um die 21 begehrten Austragungsorte mitspielt, bestimmt nach Bernie Ecclestones Rauswurf der neue F1-Rechteinhaber Liberty Media (US-Medienkonzern). Der neue Besitzer hat für die nächste Saison zwei neue Rennstrecken in seinen Formel-1-Kalender aufgenommen. Nach 35 Jahren Pause macht der F1-Zirkus wieder Station in den Nordsee-Dünen von Zandvoort in den Niederlanden. Die Max-Verstappen-Festspiele werden dem GP der Niederlande ein volles Haus bescheren. Völliges Neuland wird für den rasenden Zirkus Hanoi in Vietnam sein. Es ist der erste neue Grand Prix in der Liberty-Ära und das 32. Land, das einen Grand Prix austrägt. Angeblich bezahlt das Land 50 Millionen Dollar Antrittsgebühr für den Auftritt von Libertys Vollgas-Artisten.
Antrittsprämie zwischen zwölf und 15 millionen Euro
Bei diesen Summen, die auch Dubai, Bahrain, Aserbaidschan, Russland, Singapur oder auch Monaco locker hinblättern, kann das 21.000 Einwohner umfassende Spargelstädtchen Hockenheim nicht mithalten. „Wir gehen kein finanzielles Risiko für die Formel 1 mehr ein", sagt Hockenheimring-Geschäftsführer Georg Seiler. Im Gegensatz zu den meisten Grand-Prix-Strecken, die staatlich subventioniert oder von Sponsoren unterstützt werden, muss das beschauliche Kreisstädtchen ohne die Unterstützung öffentlicher Gelder oder eines Mäzens auskommen. Man munkelt von bis zu 20 Millionen Euro, die der deutsche Veranstalter für sein motorsportliches Highlight berappen muss. Damit zählt der GP Deutschland aus Liberty-Sicht nicht zu den lukrativeren für die F1. „Wir brauchen zumindest eine schwarze Null. Sie muss am Ende realistisch sein, ansonsten kann man einen GP wirtschaftlich nicht rechtfertigen. Wir möchten die Formel 1 am Ring behalten, aber nicht um jeden Preis", so Seiler. Verdienen können die heimischen Veranstalter nur mit dem Ticketverkauf. Und der Vorverkauf für den GP 2019 läuft nicht wie erwartet. 50.000 Tickets wurden abgesetzt. Das sind 5.000 weniger als im Vorjahr zur gleichen Zeit, bedauert der Veranstalter. Die fetten Jahre zu Zeiten Michael Schumachers, als auf dem Nürburgring und in Hockenheim Zusatztribünen aufgestellt werden mussten, sind längst vorbei. Der Traditionskurs in der Eifel hat sich nach der Insolvenz der Betreibergesellschaft ohnehin schon seit 2013 von der Formel 1 verabschiedet. Zwischen 2008 und 2013 wurde der deutsche GP immerhin noch im Wechselspiel zwischen Hockenheimring und Nürburgring ausgefahren. 2015 und 2017 machte die Motorsport-Königsklasse dann aber einen kompletten Bogen um Deutschland. In beiden Jahren konnten sich die Betreiber finanziell nicht mit dem damaligen Chefvermarkter Bernie Ecclestone einigen.
Dass der Formel-1-Zirkus an diesem Wochenende überhaupt in Hockenheim gastiert, kommt schon einem Wunder gleich. Es war ein Deal auf den letzten Drücker. Neben Austin/Texas wollte Liberty mit Miami/Florida unbedingt ein zweites USA-Rennen im Kalender unterbringen. Doch es kam anders. Zu viele Hindernisse mussten noch überwunden werden. So war die Finanzierung durch den US-Bundesstaat noch nicht geklärt, Verhandlungen mit Grundstückseigentümern, Anliegern und Geschäftsleuten noch nicht abgeschlossen. Die Verhandlungen für das ursprünglich geplante Stadtrennen in Miami waren geplatzt. Und plötzlich kam der Große Preis von Deutschland wieder ins Spiel. Schließlich sollte der Kalender von 21 Rennen ja nicht ausgedünnt werden. Und der Termin Ende Juli hat auch gepasst. Es kam zu Verhandlungen. Liberty Media soll den Veranstaltern bei den Antrittsgebühren entgegengekommen sein. Kolportiert werden jetzt Antrittsprämien zwischen zwölf und 15 Millionen Euro. Zudem konnte Mercedes für sein Heimrennen überraschend als Titelsponsor gewonnen werden. Ganz offiziell heißt der Grand Prix am 28. Juli „Formel 1 Mercedes-Benz Großer Preis von Deutschland". Den Grund der Mercedes-Finanzspritze (in unbekannter Höhe) erläuterte Sportchef Wolff: „Das Rennen 2018 hat gezeigt, wie groß die Begeisterung in Deutschland für die Formel 1 ist. Wir wollten etwas in unserer Macht stehende tun, um zu helfen." Die Rolle als Titelsponsor soll aber eine einmalige bleiben. Ausschlaggebend für den „Lückenbüßer" Hockenheim war auch, dass kein anderer Bewerber so kurzfristig einspringen konnte. Der Zeitdruck spielte den Betreibern in die Karten. Ebenso die 71.000 Besucher, die am Rennsonntag 2018 im Motodrom und auf den Tribünen für überschwängliche Stimmung sorgten. Und das trotz des Sieges von Mercedes-Pilot Lewis Hamilton im „Wohnzimmer" von Sebastian Vettel. Unvergessen dessen Fahrfehler, als er als Führender im Ferrari auf einem nassen Streckenabschnitt im Motodrom in den Reifenstapel der Sachskurve krachte. Damals kam Vettel mit vier Saisonsiegen zu seinem Heimrennen und kämpfte mit Hamilton verbissen um den WM-Titel. Und heute, zwölf Monate später?
Sein Crash mit Red-Bull-Pilot Max Verstappen im Kampf um Platz drei jüngst in Silverstone könnte seine Titelhoffnung begraben haben. Mit dem selbst verschuldeten Auffahrunfall aufs Heck, bei dem beide Fahrer von der Piste flogen, blieb der Heppenheimer erstmals seit einem knappen Jahr punktlos. Und seit 18 Rennen (letzter Sieg 2018 in Belgien) ohne Sieg. Während Verstappen nach dem spektakulären Unfall weiterfahren konnte und Fünfter wurde, musste sich Vettel eine neue (Auto-)Nase holen. Zudem haben ihm die Rennkommissare wegen seines Rammstoßes eine Zehn-Sekunden-Strafe aufgebrummt. Am Ende landete Vettel außerhalb der Punkte auf Rang 16. Nach dem Rennen zeigte er sich selbstkritisch: „Das war schon doof. Ich sah eine Lücke, wo dann keine mehr war. Ich habe mein Rennen selbst zerstört und nehme den Crash auf meine Kappe." Mit dem Nuller in Silverstone kann sich der Ferrari-Pilot von der WM-Krone so gut wie verabschieden.
„Das war schon doof. Ich sah eine Lücke, wo keine mehr war"
Unter Druck macht der viermalige Weltmeister einfach zu viele Fehler. Im Gegensatz zu seinem Teamkollegen Charles Leclerc. Der Monegasse lieferte sich ebenfalls mit Verstappen einen sensationellen Kampf. Es war die Fortsetzung des in Spielberg/Österreich begonnen Duells. Leclerc profitierte von dem Abflug Vettel/Verstappen und wurde Dritter. Was die 21-jährigen Vollblutfahrer rundenweise zu bieten hatten, da kam Freude pur auf. „Das war das Rennen, das ich am meisten genossen habe. Ich bin sehr glücklich über diesen Zweikampf. Das letzte Rennen hat mir die Augen geöffnet, wie weit man gehen kann. Es ist super für die Formel 1, weiter am Limit zu kämpfen", so der zufriedene Leclerc.
Zum dritten Mal in Folge landete der 21-Jährige vor Routinier Vettel (32), durfte zum vierten Mal hintereinander aufs Podest und stand insgesamt fünf Mal auf dem Podium (Vettel vier Mal). Im Klassement liegt der Ferrari-Jungstar als WM-Fünfter (100) nur noch drei Punkte hinter Alt-Star Vettel (123). Auf Platz drei bleibt Jungspund Verstappen (136). Das Mercedes-Duo Hamilton/Bottas, das in Silverstone einen Doppelsieg komplettierte, führt unangefochten die WM-Spitze an: der Brite mit 223 Punkten vor dem Finnen (184). Für Hamilton war es der 80. Sieg in seiner F1-Karriere, sein siebter in dieser Saison und sein sechster beim GP in Großbritannien. Damit ist er Rekordhalter dieses Rennens. Hamilton eilt mit Siebenmeilenstiefeln seinem sechsten WM-Titel entgegen.
Und Vettel? 100 Punkte Rückstand auf Rivale Hamilton. Das sind vier Siege Rückstand bei noch elf Rennen. Und jetzt kommt Hockenheim, wo vor einem Jahr seine Fehlerserie begann. Dort schließt sich der Kreis. Für Vettel bleibt nur die Hoffnung, dass das Seuchenjahr damit endlich hinter ihm liegt. Sollte er das Duell auf Dauer mit „Kronprinz" Leclerc verlieren, steht sogar seine Zukunft bei Ferrari auf dem Spiel. Zumindest aber eine Wachablösung als Noch-Nummer-eins-Pilot. Sein Heimrennen im badischen Motodrom hat er noch nie gewonnen. Mercedes dagegen drei Mal in Folge (2014 Rosberg, 2016 und 2018 Hamilton). Ein viertes Mal ist nicht ausgeschlossen.