Die Formel 1 startet an diesem Sonntag im belgischen Spa in ihre zweite Saisonhälfte. Die Powerstrecke, auf der Sebastian Vettel 2018 seinen letzten Sieg feierte, könnte für Ferrari eine Chance sein, den ersten Sieg 2019 einzufahren. Dann geht es nach Monza.
Mit dem Großen Preis von Belgien am Sonntag geht für die Formel 1 die Sommerpause zu Ende. 27 Tage hat sie seit dem letzten Rennen in Ungarn gedauert. Zwei Wochen lang waren die Fabriken der zehn Teams zugesperrt, sie befanden sich im sogenannten Shutdown. Das heißt: Kein Mechaniker durfte schrauben, kein Ingenieur berechnen und kein Fahrer in den Simulator steigen. Diese arbeitsfreie Zeit soll der reinen Erholung dienen, alle Beteiligten sollen abschalten und entspannen, ihre Akkus aufladen und Kraft tanken für die letzten zwei Europa- und sieben Überseerennen. Nachdenken und grübeln über den bisherigen Saisonverlauf – diese Tugenden bleiben aber dem Einzelnen überlassen. Reichlich Gebrauch davon dürfte Ferrari um Teamchef Mattia Binotto gemacht haben, denn mit einer krachenden Niederlage in Ungarn hat sich der Rennstall in die Sommerpause verabschiedet. „Es wird eine arbeitsreiche Pause. Ich denke nicht, dass die Köpfe während der zwei Wochen abschalten können. Hoffentlich kommen wir mit ein paar guten Ideen zurück", verkündete Sebastian Vettels Vorgesetzter noch vor der Abreise aus Ungarn.
Dabei waren es nicht die Plätze drei (Vettel) und vier (Charles Leclerc), die enttäuschend waren, sondern vielmehr die Rundenzeiten. In Ungarn krochen die roten Renner förmlich um den Hungaroring, das springende Pferd war huflahm wie schon lange nicht mehr. Nach 70 Runden betrug der Rückstand auf Sieger Lewis Hamilton mehr als eine Minute! Das sind Welten in der Formel 1. Oder ein Armutszeugnis, fast eine Bankrotterklärung. Vettel drückt es so aus: „Da haben wir eins auf die Mütze bekommen, das hat uns die Augen geöffnet. Uns fehlt einfach die Pace (Geschwindigkeit, Anm. d. Red.)." Ferrari konnte weder mit Mercedes noch mit Red Bull mithalten. „Jetzt liegt es an uns, in den nächsten Monaten daran zu arbeiten, und hoffentlich sieht es am Ende des Jahres anders aus", macht Vettel sich und dem Team Mut.
Immerhin kennt das Team seine Schwachstellen, kann sie bisher aber nicht beheben. „Wir wissen, dass wir in den Kurven zu langsam sind, und die gibt es nun einmal auf jeder Rennstrecke. Wir würden gern ein Auto bauen, das in den Kurven schneller ist. Wir tun was wir können, aber das ist derzeit nicht genug", hat Ferraris Frontmann Vettel erkannt. „Man kann nicht einfach eine magische Lösung aus dem Hut zaubern. Danach sucht man zwar immer, aber ich habe in den mehr als zehn Jahren noch niemanden getroffen, der eine gefunden hat", so der viermalige Weltmeister. In den bisherigen zwölf Saisonrennen ist Ferrari noch ohne Sieg. In Kanada wurde Vettel der Sieg am grünen Tisch aberkannt, weil er Hamilton mit einem „gefährlichen Manöver", so die Sportkommissare, zum Verlassen der Strecke gezwungen hatte – er wurde auf Platz zwei zurückgestuft. Oftmals standen sich Team und Fahrer aber selbst im Weg: durch Technikpannen, Strategiefehler, Boxenstopps und Fahrfehler. Den ersehnten Titel im fünften Jahr mit Hoffnungsträger und Heilsbringer Vettel können die Italiener abschreiben – auch wenn Optimist Vettel noch immer daran glaubt.
Spa und Monza sind eindeutig „Ferrari-Land"
Für die Scuderia war es eine erste Hälfte voller Tiefschläge. Für einen Sieg aber könnte es doch noch reichen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Die beiden aufeinanderfolgenden Rennen in Spa-Francorchamps und Monza sind ausgesprochene Hochgeschwindigkeitspisten. Die beiden Powerstrecken mit ihren langen Geraden kommen dem bärenstarken Ferrari-Triebwerk sehr entgegen. Sie sind wohl die größte Siegchance für den roten Rennstall in der zweiten Saisonhälfte. „Von der Papierform her sollten Spa und unser Heimrennen in Monza besser für uns sein", weiß auch Vettel und erinnert daran, dass „man auch zuletzt in Ungarn auf den Geraden das schnellste Auto hatte. Und das müssen wir bei den nächsten zwei Rennen bestätigen." Und sein Boss Binotto ist sich „ganz sicher", dass Ferrari in Spa und Monza konkurrenzfähiger sein wird. Für Rivale Red Bull und seinen Teamchef Christian Horner sind Spa und Monza eindeutig „Ferrari-Land". Sollte weder in den Ardennen noch in der Höhle des Löwen und Motorsport-Kathedrale Monza die schwarze Serie ohne Sieg enden, droht womöglich die erste sieglose Saison seit 2016. Den letzten Triumph für den italienischen Renommier-Rennstall bescherte den Italienern ihr Weltmeister von 2007, der Finne Kimi Räikkönen, am 21. Oktober 2018 beim USA-Grand Prix in Austin, Texas. Vettels 52. und bisher letzter Sieg datiert vom 26. August 2018 – in Spa-Francorchamps vor zwölf Monaten oder seit 20 WM-Läufen. Derzeit ist der 33-jährige Hesse aus Heppenheim WM-Vierter (156 Punkte). Von der Form seiner vier Weltmeisterjahre (2010 bis 2013) ist Vettel immer mehr abgerückt. Und Rivale Lewis Hamilton immer mehr davongeeilt. Der achtmalige Saisonsieger rast mit Siebenmeilenstiefeln seinem sechsten WM-Titel entgegen.
Das anfangs erwartete Mercedes-interne Titelduell Hamilton gegen Teamkollege Valtteri Bottas hat sich fast erledigt. Nach Siegen (8:2) und WM-Punkten (250:188) liegt der Brite vorn. Ihm auf der Lauer liegt mit dem „Bullen" Max Verstappen von Red Bull, ein immer aufmüpfiger Titelkonkurrent (181). Der 34-jährige Hamilton ist für die nächste Saison bei Mercedes gesetzt. Bottas hat mit zwei Seuchenrennen in Hockenheim und Ungarn nicht gerade eine Bewerbungsempfehlung für das zweite Mercedes-Cockpit abgegeben. Bis zum Grand Prix in Spanien fuhr er noch auf Augenhöhe mit Hamilton, war hin und wieder sogar schneller als die Nummer eins. Bottas fehlte aber die Konstanz. Die Vertragsgespräche für die Saison 2020 sollten während der Sommerpause folgen, doch bis Redaktionsschluss gab es noch keine Lösung. Mercedes-Sportchef Toto Wolff: „Wir wollen das Ergebnis nicht von einem schlechten Tag abhängig machen. Wir werden uns alle Daten anschauen und sehr viele Faktoren berücksichtigen, die für oder gegen Valtteri sprechen." Möglicher Nachfolger, der den fünfmaligen Grand-Prix-Sieger im WM-Team ersetzten könnte, wäre Esteban Ocon (22). Der Franzose fährt seit 2016 in der Formel 1, bestritt insgesamt 50 Grand Prix für die Teams Renault, Manor, Sahra Force India und Racing Point, ist seit 2019 Mercedes-Ersatzfahrer und seit 2016 Teil der Mercedes-Familie.
„Ich nehme den Kampf mit anderen Fahrern auf"
Fakt aber ist: Der Niederländer und „fliegende" Holländer Max Verstappen ist derzeit der Mann der Stunde in der Formel 1. Der 21-jährige Überflieger hat zwei der vergangenen drei Rennen gewonnen (jeweils mit Bonuspunkt für die schnellste Runde), hat beim Puszta-Grand-Prix in Ungarn im 93. Anlauf seine erste Pole Position geholt und in den letzten vier Rennen besser gepunktet als Hamilton. „Das ist recht gut, aber es kann noch besser werden", zieht der Red-Bull-Pilot bei „Motorsport total" ein zurückhaltendes Fazit zur ersten Saisonhälfte. „Ich denke, wir haben bei den meisten Rennen das Maximum herausgeholt. Wir wollen aber natürlich mehr Rennen gewinnen", so seine Kampfansage. Mit seinen Auftritten hat „Mad Max" schon für viel Unterhaltung auf den Pisten gesorgt. „Ich versuche nicht, daraus eine große Show zu machen. Wenn wir uns für Platz vier oder fünf qualifizieren, muss man nun einmal überholen, und das sorgt automatisch für Action. Ich nehme den Kampf mit anderen Fahrern auf, und das scheint den Fans zu gefallen", so die Einstellung des WM-Dritten, der Hamilton auf die Pelle rückt. Sein Chef Christian Horner ist stolz, einen Piloten wie Max Verstappen an der Spitze kämpfen zu sehen. „Das wäre ansonsten eine ziemlich langweilige Show", glaubt der Ex-Chef von Sebastian Vettel. Rennen wie zuletzt in Ungarn seien großartig, da die Fans genau solche Duelle sehen wollen. „Wir müssen Max ernst nehmen und dürfen den Fuß nicht vom Gas nehmen", warnte Mercedes-Sportchef Toto Wolff.
Mit dem GP von Belgien hat Verstappen einen neuen Teamkollegen an seiner Seite. Der Brite Alexander Albon, seit Saisonbeginn einer von drei Rookies in der Formel 1 und in Red Bulls Nachwuchsteam Toro Rosso unterwegs, wurde in der Sommerpause kurzerhand ins A-Team befördert. Dort ersetzt der 23-Jährige, der mit thailändischer Lizenz fährt (seine Mutter ist Thailänderin) den glück- und erfolglosen Franzosen Pierre Gasly. Der ebenfalls 23-Jährige kehrt zu Toro Rosso zurück und ist Teamkollege des Russen Daniil Kvyat. Für den italienischen Rennstall aus Faenza hatte Gasly fünf der letzten sechs Rennen 2017 und die gesamte Saison 2018 bestritten. 2019 folgt die Beförderung ins A-Team Red Bull. Nach zwölf von 21 Saisonrennen hat der Formel-2-Meister von 2016 nur 63 Punkte auf dem Konto und war im teaminternen Duell gegen den holländischen Wunderknaben chancenlos. Im Qualifying-Duell stand es zuletzt 11:1 für Verstappen.
Es könnte zum Duell der Generationen kommen
Die Degradierung Gaslys ist umso überraschender, da Red Bulls’ Motorsportberater Helmut Marko felsenfest betont hat, die Saison 2019 mit Gasly zu Ende zu fahren. Doch in der Formel 1 herrscht das Prinzip der Gnadenlosigkeit. „Bei uns zählt nur das Leistungsprinzip", begründete Marko die spontane Rückversetzung Gaslys. Die letzten beiden Rennen waren quasi sein Ausmusterungsbescheid. Albon dagegen hat nach nur zwölf Rennen mit fünf Zielankünften in den Punkterängen überzeugt. In den restlichen neun Rennen kann der Brite sich bei Red Bull für 2020 als Stammpilot empfehlen.
Vorerst aber heißt das Duell auf der Strecke Hamilton gegen Verstappen, Alt gegen Jung, ein 35-Jähriger gegen einen 21-Jährigen, ein Fünffach-Weltmeister gegen seinen Kronprinzen. Die restlichen Rennen zwischen Hamilton und Verstappen können zum Duell der Generationen oder sogar zum Duell der Giganten mutieren. Während Verstappen sich mehr und mehr zum Titelkandidaten mausert, verliert Vettel mehr und mehr an Boden. Wird es nix mit einem Sieg in den nächsten beiden Rennen in Spa oder Monza, kann er seine Hoffnung auf den fünften WM-Titel begraben. Die Show nach den letzten vier Kracher-Rennen aber dürfte weiter leben.