Die Olympischen Spiele von Tokio polarisieren wie selten ein Sportereignis zuvor
Um die Olympischen Spiele von Tokio wurde hart gerungen. Inmitten eines Klimas der Ablehnung und Angst hat sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) durchgesetzt. Ob das Festhalten an Tokio richtig gewesen ist oder die Kassandra-Rufer recht behalten werden, wird man im Nachhinein wissen.
Nur eines ist gewiss: Die diesjährigen Spiele werden komplett anders sein als bisher. Begegnung, Freude, Ausgelassenheit werden fehlen. Ein olympisches Dorf, in dem die Athleten aus verschiedenen Ländern und Sportarten nicht nur wohnen, sondern sich auch außerhalb der Wettkämpfe treffen, ist nicht vorstellbar. Die Magie der Spiele, von der Sportler immer wieder schwärmen, wird es nicht geben.
Stattdessen werden wir eine Ansammlung von Weltmeisterschaften erleben. Die meisten Athleten werden kurzfristig an- und abreisen müssen. Der gesamte olympische Tross wird in einer Blase leben. Regelmäßige Corona-Tests für alle sind verpflichtend. Maximal 10.000 einheimische Zuschauer sollen in den olympischen Wettkampfstätten zugelassen werden. Die strengen Rahmenbedingungen sollen das Risiko eines Superspreader-Events minimieren. Jedoch ist der Einfluss von Virusmutationen nicht kalkulierbar.
Dennoch, eine einseitige apokalyptische Rhetorik wird den Olympischen Spielen von Tokio nicht gerecht. Nach längerer Isolation brauchen auch Sportler wieder Perspektiven. Olympia ist für Sportler eine Lebensgrundlage und Höhepunkt ihrer Karriere. Sie haben sich trotz Corona professionell vorbereitet und auf vieles verzichtet. Für Sportler aus weniger populären Sportarten sind Olympische Spiele die einzige Möglichkeit, um im Vierjahresrhythmus öffentliche Aufmerksamkeit zu erhalten und sich damit für ihr tägliches mehrstündiges Training zu belohnen. Nachdem trotz befürchteter öffentlicher Neiddebatte die meisten geimpft worden sind, ist das gesundheitliche Risiko nicht mehr vergleichbar mit russischem Roulette.
Ein weiterer Aspekt sollte berücksichtigt werden, wenn an der Austragung der Olympischen Spiele in Tokio festgehalten wird. Es wird gemutmaßt, dass bei einem Ausfall von Olympia das IOC mehrere Milliarden Euro verlieren würde. Wen kümmert das, mag man fragen. Es würde in erster Linie den gesamten Sport kümmern. Etwa 90 Prozent der Einnahmen werden an die internationalen und nationalen Sportverbände weitergegeben. Ein Ausfall dieser Mittel würde den Weltsport in vielen Teilen nur noch schwer finanzierbar machen und viele Sportarten würden in ihrer Entwicklung bedroht werden. Die Kluft zwischen den finanzstarken Sportarten und solchen, die weniger telegen und öffentlichkeitsaffin sind, würde erheblich größer werden.
Werden wir uns in Tokio mit sportlichem Mittelmaß begnügen müssen? Der Weg dorthin ist für viele Athleten steinig gewesen. Die Pandemie hat zuweilen ein angemessenes Training behindert. Außerdem: Es gab weniger Wettkämpfe, Qualifikationswettbewerbe, und Testwettkämpfe vor Ort sind ausgefallen. Andererseits hat die Wettkampfreduktion Ressourcen für Regeneration und Grundlagentraining freigesetzt. Insbesondere verletzte Athleten konnten davon profitieren. Unabhängig von Corona wird sich auch das feucht-heiße Klima auf die Leistungen vor allem in Ausdauerdisziplinen auswirken.
Nicht nur die unterschiedlichen Trainingsbedingungen, sondern auch die zeitweise reduzierten Dopingkontrollen werden den Medaillenspiegel beeinflussen. In 2020 konnten in vielen Ländern monatelang keine Dopingkontrollen durchgeführt werden. Solche Phasen sind ideal, um mit pharmakologischer Unterstützung beispielsweise Ausdauer und Kraft auf ein höheres Niveau anzuheben. Eines der ursprünglichen Ziele von Dopingkontrollen, die Verbesserung der Chancengleichheit, wird damit konterkariert. Offen bleibt derzeit, inwieweit in den entscheidenden Trainingswochen vor Olympia das Testprogramm trotz Corona adäquat funktioniert hat.
Die Spiele von Tokio werden als Corona-Games in die Historie eingehen. Olympiasieger und Medaillengewinner in den verschiedenen Wettbewerben vorauszusagen, wird deutlich schwieriger als bei früheren Spielen. Wir werden ein Olympia der Überraschungen erleben.