Der Franzose Esteban Ocon war im Alpine-Renault der Sensationssieger beim Ungarn-GP, Sebastian Vettel wurde als Zweiter disqualifiziert, auf Platz zwei rückte Lewis Hamilton im Mercedes vor. Nach dem chaotischen PS-Thriller in der Puszta verabschiedete sich die Formel 1 bis Ende August in den Sommerurlaub.
Christian Horner, Teamchef bei Red Bull, hatte nach der Samstags-Qualifikation einen heißen Tipp für die Formel 1-Fans parat: „Schaltet am Sonntag den Fernseher ein, es wird sich lohnen.“ Was der Engländer damit wohl gemeint hat? Die Startaufstellung zum Großen Preis von Ungarn versprach einen „Knalleffekt“. Lewis Hamilton vor seinem Mercedes-Teamkollegen Valtteri Bottas, dahinter in Reihe zwei (hinter Hamilton) Red Bull-Überflieger Max Verstappen. Der Niederländer sinnte nach dem Crash mit Hamilton in Silverstone/England, bei dem Verstappen leer ausging, auf Revanche. Und „Hellseher“ Horner sollte mit seinem heißen Tipp Recht behalten. Es hat sich gelohnt, zu gucken.
Und lange mussten die Fans an der Strecke und vor dem Fernseher nicht warten, bis es knallte und krachte. Schon gleich nach dem Start hat eine Massenkarambolage das Formel 1-Feld durcheinandergewirbelt. Und so hat das Malheur seinen Lauf genommen: Bottas kommt auf der nassen Piste mit durchdrehenden Rädern kaum vom Fleck. Beide Red Bull-Piloten, Verstappen von Platz drei und Sergio Perez von Rang vier sowie der von Position sechs gestartete Lando Norris im McLaren schlüpfen an Bottas vorbei. Der Finne aber bremst vor der ersten Kurve zu spät, rutscht Norris ins Heck und schiebt den McLaren in den Bullen-Boliden von Verstappen. Dann räumt Bottas auch noch den zweiten „Bullen“ Perez ab. In diesem turbulenten Chaos verschätzt sich schließlich auch noch Lance Stroll im Aston Martin und kracht seitlich in den Ferrari von Charles Leclerc. „Schönes Bowling-Spiel“ twitterte der Monegasse enttäuscht in Richtung Stroll. Die Bilanz der Bottas-Harakiri-Aktion: Perez raus, Norris raus. Leclerc raus, Stroll raus, er selbst raus. Größter Nutznießer der Bowling-Karambolage sind der von Position acht gestartete Franzose Ocon im Alpine-Renault und Vettel, der einen miserablen Start von Platz zehn hatte, aber davor bewahrt blieb, ins Start-Chaos zu geraten. So findet sich Vettel nach Kurve eins unverhofft auf Rang drei wieder – hinter dem Führenden Hamilton und Ocon. Verstappen quälte sich mit seinem waidwunden Boliden noch bis zur Box. Die rote Flagge ließ nicht lange auf sich warten, wurde in Runde zwei geschwenkt. Das Rennen wird 25 Minuten unterbrochen, um die havarierten Boliden samt aller Trümmerteile sicher zu bergen. Verstappens Auto mit Schäden am Seitenkasten und Unterboden konnte nur noch notdürftig zusammengeflickt werden.
Zufallskontrolle kostete Vettel den zweiten Platz
Der Neustart geht wohl in die Geschichte ein. Als die roten Ampeln erloschen, fuhren alle Fahrer in die Box, um wegen der abtrocknenden Strecke auf Trockenreifen zu wechseln. Alle Fahrer? Nein! Nur Lewis Hamilton stand mutterseelenallein und auf weiter Flur in der Startaufstellung ganz vorn. Hinter ihm das Safety-Car. Ein ungewohntes, legendäres Bild. „Wo gibt es denn solche Bilder? Das ist ja ein absolutes Novum, das gab es in 70 Jahren Formel 1 noch nie“, wunderte sich Nico Rosberg, Weltmeister 2016, bei Sky. Hamilton in der Startaufstellung, der Rest am Start aus der Boxengasse. Hamilton jagte hinterher und kam eine Runde später zum Reifenwechsel in die Box. Als Letzter kam er auf die Strecke zurück. Und Hamiltons Hammertime begann. Mit einer grandiosen Aufholjagd von Platz 14 kämpfte er sich mit beeindruckenden Überholmanövern durch das gesamte Feld. Etwas mehr als zehn Runden vor Rennende befand sich Hamilton auf Platz fünf, als er auf einen hartnäckigen Alpine-Pilot Fernando Alonso auflief, der seine Position hartnäckig verteidigte. Schlussendlich schnupfte Hamilton den Spanier auf. Dann aber gingen ihm die Runden aus, und er musste sich mit Platz drei zufriedengeben, erbte aber später nach der Disqualifikation von Vettel Rang zwei. Verstappen beendete das verrückteste und irrste Rennen der Saison noch als Neunter mit zwei WM-Punkten.
An der Spitze aber zog Ocon unbeirrt seine Runden und ließ sich auch von einem enorm Druck aufbauenden Sebastian Vettel nicht aus seinem Konzept bringen und verteidigte seine Führung mit dem allerletzten Einsatz bis ins Ziel. Vettel enttäuscht: „Ich hatte das Gefühl, dass ich wenig schneller war während des ganzen Rennens. Aber Esteban hat keinen einzigen Fehler gemacht“, hat der hinterherfahrende Vettel beobachtet. „Ich bin einfach nicht nahe genug rangekommen, habe richtig gepusht, aber Esteban hat seinen ersten F1-Sieg verdient.“ Er, Vettel, selbst sei eher enttäuscht, dass man nicht gewonnen hat, wenn man so nahe dran war.
Aber noch viel größer wäre Vettels Enttäuschung gewesen, wenn er im Aston Martin gewonnen hätte, nachdem ihm schon Platz zwei aberkannt wurde. Der Heppenheimer hatte sich nach der Siegerehrung, bei der er noch auf dem zweiten Podestplatz stand, in der Puszta aus dem Staub und auf die Heimreise gemacht –nichtsahnend was ihn noch erwarten wird: den Super-GAU. Knapp fünf Stunden nach Fallen der Zielflagge war Vettel seinen zweiten Platz los. Um 20.02 Uhr überreichte der Technische Delegierte der FIA, der Saarländer Joachim „Jo“ Bauer aus Friedrichsthal, die Hiobsbotschaft und übergab den Fall an die Stewards. Der Fall: Vettel hatte seinen Boliden nach der Zieldurchfahrt auf der Ehrenrunde wegen einer defekten Benzinpumpe nicht mehr in den Parc fermé gebracht, wo die Autos geparkt werden, sondern schon vorher am Streckenrand abgestellt. Bei einer Zufallskontrolle hatten die FIA-Techniker zu wenig Restbenzin im Tank festgestellt. Statt der geforderten Mindestmenge von einem Liter Treibstoff für die Probenentnahme konnten nur 0,3 Liter ausgepumpt werden. Das ist ein Verstoß gegen das Technikreglement. Den Kommissaren blieb einfach keine andere Wahl, als den viermaligen Champion zu disqualifizieren.
Wegen der Disqualifikation ist Hamilton von Platz drei auf Rang zwei vorgerückt und bekam somit 18 statt 15 Punkte und konnte seinen Vorsprung auf Max Verstappen um zwei weitere Zähler auf acht Punkte ausbauen (195:187). Während sich Vettel bisher jeglichen Kommentar verkniff, sprang ihm Rivale Hamilton bei: „Es tut mir so leid für Seb“, schrieb er auf Instagram: „Es ist mir immer eine Ehre, mit dir auf dem Podium zu stehen. Du hast dir dieses Resultat verdient.“
Verdient hat diesen Ungarn-Sensationssieg jedenfalls Esteban Ocon. Höchste Anerkennung erfährt der 24-jährige Franzose vom siebenmaligen Weltmeister Hamilton: „Esteban gehört schon seit einiger Zeit zu den kommenden Stars und hat lange auf diesen Premierenerfolg warten müssen. Ich freue mich sehr für ihn.“ Diese Anerkennung kommt ja schon einem Ritterschlag von einem der aktuell weltbesten Rennfahrer gleich.
Und was sagt der so Geadelte, 1,80 Meter große Schlaks im Interview bei Sky? „Was für ein Tag! Es fühlt sich so großartig an. Der erste Sieg, Renault ist zurück in der Formel 1. Wir haben so viele schwierige Momente gehabt. Mein Teamkollege Fernando Alonso hat mir zu diesem Sieg verholfen. Er hatte Hamilton viele Runden lang bis zu dessen Überholmanöver aufgehalten. Mein Sieg geht auch auf Fernandos Konto, er hat mich gegen Lewis verteidigt. Es ist super, mit ihm zu arbeiten. Wir sind ein tolles Team.“ Die italienische Sport-Tageszeitung „Gazzetta dello Sport“ bewertet den Sieg des Franzosen so: „Französische Revolution. Überraschung in Budapest mit Ocons Sieg. Hamilton erfüllt seine Mission und entreißt Verstappen den Thron.“ Der „Corriere della Sera“ bemerkt: „Beim großen Bowling in Budapest hatten wir mit einem Duell Hamilton gegen Verstappen gerechnet, doch es ist ganz anders gekommen: Ocon feiert seinen ersten Sieg.“ In Spanien schreibt die Sport-Tageszeitung „AS“: „Der Start in Ungarn war einer der wildesten und chaotischsten in der Formel 1. Hamilton ist der große Gewinner, Verstappen mit kaputtem Auto der große Verlierer.“ „Marca“ stellt fest: „Bottas sorgt mit seinem Crash für ein Tohuwabohu. Wahnsinnsaufholjagd von Hamilton. Ocon gewinnt dank Alonso. Es war eine monumentale Schlacht.“ Die Tageszeitung „Sport“: „Titanischer Kampf zwischen Alonso und Hamilton. Der Spanier hielt den Briten lange in Schach, das war pure Formel 1-Leidenschaft. Verstappen wurde zum Pechvogel.“
Das große Duell der Top-Piloten fand nicht statt
Und was sagt dieser Pechvogel? Der niedergeschlagene Niederländer hat einen eindeutigen Schuldigen. „Bottas war der Verursacher dieser Karambolage. Der Schaden an meinem Auto war groß, dann war es auch vorbei. Wir haben nach Seb’s Disqualifikation noch zwei Punkte geholt, na ja. Die letzten zwei Rennen waren total Scheiße.“ Dem in die Kritik geratenen Mercedes-Piloten Valtteri Bottas haben die Sportkommissare eine Strafe von fünf zurückgesetzten Startplätzen beim nächsten Rennen in Belgien (29. August) aufgebrummt. Nach seiner ausgelösten Karambolage fühlte sich der Finne naturgemäß nicht wohl in seiner Haut. „Ich habe mich mit dem Bremspunkt verschätzt. Klar mein Fehler. Ich bitte um Entschuldigung.“ Sein Teamchef Toto Wolff entschuldigte sich öffentlich bei Red Bull: „Es ist unerfreulich, wenn dein Fahrer drei Autos abräumt und zwei davon sind Red Bull. Ich empfinde es als meine Pflicht, das zu bedauern.“ Bullenchef Horner bemerkte süffisant und sarkastisch: „Mercedes hat eine verdammt gute Strategie gefahren. Es war ein großartiger Job von ihnen, beide unserer Autos aus dem Rennen zu nehmen.“ Auf seinen Fahrer aber wollte der „gute Wolf(f)“ nicht eindreschen. „Valtteri erlebte einen schwierigen Start mit durchdrehenden Rädern und hatte später den Bremspunkt falsch eingeschätzt. Es war ein kleiner Fehler mit schwerwiegenden Folgen, was mir außerordentlich leid tut.“