Die größte Veränderung beim deutschen Volleyball-Meister BR Volleys ist die Neubesetzung auf der Trainerbank. Der Brite Joel Banks tritt in große Fußstapfen. Mit einer Mischung aus Demut und Selbstvertrauen will er den hohen Ansprüchen gerecht werden.
Der neue Trainer hat mit den BR Volleys noch kein einziges Pflichtspiel bestritten, doch seinen Spitznamen hat Joel Banks bereits weg. „Mister Fantastic“ tauften ihn die Berliner Medien, weil der Brite gelungene Übungen im Training gern als „fantastic“ lobt. Die Medienabteilung des deutschen Volleyball-Rekordmeisters fand die Bezeichnung so gut, dass sie sie auch auf ihre Internetseite stellte: „Der neue Mister Fantastic“. Ob unter seiner Regie wirklich alles fantastisch wird, so wie in den fünf Jahren unter Vorgänger Cedric Énard, wird sich erst noch zeigen. Die Fußstapfen sind groß, der Anspruch beim Serienmeister ist enorm – Banks weiß das und tritt seinen neuen Job mit Demut, aber auch mit der notwendigen Portion Selbstvertrauen an.
„Natürlich spüre ich den Druck. Die BR Volleys sind dafür bekannt, dass sie gewinnen. Auf dem Papier kann es nur bergab gehen“, sagte der 48-Jährige dem RBB. Doch er will und soll die Mannschaft besser machen, gerade weil er eben nicht Cedric Énard ist. Dessen Abschied nach Frankreich, der zunächst mit privaten Gründen erklärte wurde, müsse man im Club auch als Chance begreifen, forderte Geschäftsführer Kaweh Niroomand. „Es wäre nicht wünschenswert, wenn ein neuer Mann kommt und gar keine neuen Impulse setzt.“ Eine neue Ansprache, eine neue Teamführung, Modifizierungen bei der Taktik – all das sei „nicht befürchtet“, erklärte Niroomand, „das ist gewollt“. Und Banks sei dafür genau der richtige Mann zur richtigen Zeit. „Joel passt genau in unser Anforderungsprofil“, meinte der Geschäftsführer: „Mit seiner Verpflichtung bleiben wir unserer Linie treu. Er ist ein Mann, der gewisse Erfahrung und Erfolge aufweisen kann, sich selbst aber noch weiterentwickeln will. So jemanden mit Motivation und Ehrgeiz brauchen wir für unser dynamisches Projekt.“
Die Erwartungen sind groß. Banks soll die BR Volleys nicht nur zum 14. Titel in der Bundesliga führen, mit dem die Berliner ihren Erzrivalen VfB Friedrichshafen als alleinigen Volleyball-Rekordmeister überflügeln würden. Auch in der Champions League soll der deutsche Branchenprimus endlich eine gewichtigere Rolle spielen, auch wenn die Finanzkraft vieler europäischer Topvereine weiterhin deutlich größer ist. „Das Ziel ist klar: Wir machen genau bei den Erfolgen weiter“, erklärte Banks, der mit den hohen Ansprüchen des Hauptstadtclubs sehr gut leben kann: „Der Druck ist Teil des Jobprofils, und ich persönlich mag das.“ Und zwar so gern, dass er sogar noch einem zweiten Job nachgeht: Als Auswahlcoach will Banks die finnische Nationalmannschaft zu Olympia 2024 in Paris bringen.
„Ich mag diese Kombination aus Nationalteam und Club. Aber das bedeutet auch, dass die Zeit im Sommer wirklich begrenzt ist“, sagte der Trainer. Für die Zeit rund um die Europameisterschaft vom 28. August bis zum 16. September ist er ausschließlich für Finnlands Nationalteam unterwegs, die Saisonvorbereitung in Berlin übernimmt dann der neue Co-Trainer Markus Steuerwald. Kein Problem, meint Banks, denn im Kader der BR Volleys stehen zahlreiche europäische Nationalspieler, die auch bei der EM am Start sind. Einige Profis würden gar erst kurz vor Saisonstart zum Team stoßen. Der Doppel-Job hat auch schon bei Vorgänger Énard funktioniert, der Franzose stand bei Kroatiens Nationalmannschaft hauptverantwortlich an der Seitenlinie. Deswegen hatte BR-Geschäftsführer Niroomand auch keine Bauchschmerzen, Banks den Zweitjob zu erlauben.
„Wir brauchen Zeit, bis wir Verbindung aufbauen“
Doch klar ist auch: Durch die ungewöhnliche Vorbereitung werden Trainer und Mannschaft sicher nicht auf Anhieb auf einer Welle funken. „Es wird etwas Zeit brauchen, bis wir alle eine Verbindung aufgebaut haben“, weiß Banks. Erschwert wird die Eingewöhnung durch das Olympia-Qualifikationsturnier, das vom 30. September bis zum 8. Oktober stattfindet. Auch in jener Zeit werden Trainer und viele Spieler mit ihren Nationalmannschaften unterwegs sein. „Wenn man gute Spieler hat, die für ihre Nationalteams antreten, sieht die Realität so aus, dass sie während der Preseason fehlen“, so Banks. Am Terminplan mäkeln bringe ohnehin nichts, der neue Trainer nimmt die Situation rational und pragmatisch an.
Seine Premiere in der Bundesliga feiert Banks am 27. Oktober, wenn der amtierende Champion im Freitagabendspiel in der Berliner Max-Schmeling-Halle gegen die Helios Grizzlys aus Giesen die neue Saison eröffnen. Am zweiten Spieltag haben die BR Volleys die kürzeste Anreise der Saison bei einem Auswärtsspiel, wenn es in Bestensee zum Berlin-Brandenburg-Derby gegen die Netzhoppers kommt. Das mit Spannung erwartete erste Duell gegen Erzrivale VfB Friedrichshafen steigt am 10. November. Dann wird das Team vom Bodensee auf Revanche für das verlorene Play-off-Finale im vergangenen Mai aus sein. Beendet wird die Hauptrunde am 9. März, eine Zwischenrunde gibt es diesmal nicht. Die besten acht Clubs der Vorrunde qualifizieren sich direkt für die K.-o.-Runde. Aufgrund des neuen Medienpartners Dyn, der am 23. August mit seinem Streamingangebot startet, finden die 132 Spiele der Hauptrunde größtenteils zeitversetzt statt. Das „Spiel der Woche“ ist für den Freitagabend reserviert und soll frei empfangbar gezeigt werden. Es ist wahrscheinlich, dass die Berliner sehr oft dieses Topspiel bestreiten werden. Im Team gab es zwar erneut einige Zu- und Abgänge, die Automatismen werden sicher nicht von Beginn an greifen. Doch die Favoritenrolle liegt klar beim Titelverteidiger. Das letzte personelle Puzzleteil fand der Club in Außenangreifer Jiri Hänninen – und für den vierten Neuzugang musste Banks gar nicht lange suchen. Den Finnen kennt der Coach schon von der Nationalmannschaft in- und auswendig, und er verspricht den Fans, „dass wir einen akribischen Arbeiter mit einem großen Kämpferherz bekommen“. Der 25-Jährige habe sich in den letzten beiden Jahren „gut entwickelt und bringt eine typisch finnische Mentalität mit, ist zuverlässig und wird jedes Training und Match mit voller Motivation angehen“, schwärmte Banks.
Der Titel in der Bundesliga ist für den neuen Trainer fast schon Pflicht, die Kür ist die Champions League. Hier gab es aber bei der Gruppen-Auslosung einen Dämpfer – zumindest, was die Chancen fürs Weiterkommen betrifft. Bei ihrer zwölften Champions-League-Teilnahme treffen die Berliner in Gas Sales Bluenergy Piacenza aus Italien und Halbank Ankara aus der Türkei auf zwei europäische Hochkaräter. Auch der portugiesische Meister Benfica Lissabon ist nicht zu unterschätzen. „Wir haben schon im letzten Jahr gesagt, dass wir die wohl härteste aller Gruppen erwischt haben. Diesmal ist die Aufgabe jedoch mutmaßlich noch ein Stück größer“, sagte Geschäftsführer Niroomand über die denkbar schwerste Gruppenkonstellation: „Ankara hat sich im Vergleich zum Vorjahr nochmals verstärkt und Piacenza verfügt über reihenweise Superstars in seinem Kader. Wir werden sehen, wie schnell sich diese Gegner als Mannschaft finden.“
Das müssen aber auch die BR Volleys mit ihrem neuen Trainer noch. Sollte ihnen das reibungslos gelingen, müssen sie sich auch hinter europäischen Topclubs nicht verstecken. Ende November steigt das erste Kräftemessen in der Königsklasse, der Deutsche Meister beginnt mit einem Heimspiel.