Mit seinem Sieg in Japan hat Max Verstappen seinem Team Red Bull vorzeitig den WM-Titel der Konstrukteure beschert und sich gleichzeitig für seine Schmach im GP Singapur rehabilitiert. Kurios – aber bereits am Samstag kann er im Sprintrennen in Katar zum dritten Mal Weltmeister werden.
In Japan, im Land der aufgehenden Sonne, ist Max Verstappen in die Erfolgsspur zurückgekehrt, nachdem der Dauer-Sieger ein Rennen zuvor in Singapur, in der Löwenstadt, abgestürzt war. In Suzuka feierte der Formel-1-Dominator seinen 13. Saisonsieg im 16. Rennen. Mit einer erneuten Machtdemonstration sicherte er mit seinem insgesamt 48. Formel-1-Sieg nach 179 Grand Prix dem Red Bull Racing-Team sieben Rennen vor Saisonende den sechsten WM-Titel in der Marken-Weltmeisterschaft. Auf der Fahrerstrecke in Suzuka verwies Verstappen das McLaren-Duo Lando Norris (Großbritannien) und Formel-1-Neuling Oscar Piastri auf die Plätze zwei und drei. Für den Australier (22) war es das erste Podium in seiner jungen Karriere. „Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen und ist sehr besonders für mich. Ich weiß, dass nur rund 20 Fahrer im Jahr die Chance erhalten, solche Rennwagen zu fahren und dann in meiner ersten Saison schon einen Podestplatz in der Formel 1 zu erringen, das weiß ich wirklich zu schätzen. Ich kann McLaren gar nicht genug danken, dass sie mir ein so gutes Rennauto gegeben zu haben“, sagte der Rookie vor den Kameras.
Verstappens Stallgefährte Sergio Pérez, dagegen erlebte ein Debakel. Für den Mexikaner war Suzuka ein rabenschwarzer, desaströser Tag. Nach zwei Unfällen, Fahrfehlern und Zeitstrafen musste er sein Auto abstellen.
„Ein unglaubliches Wochenende“
In dem weitestgehend ereignisarmen Rennen fuhr Verstappen von seiner 29. Poleposition entspannt und souverän zu einem zu keinem Zeitpunkt gefährdeten Sieg.
Lediglich in der turbulenten Startphase, in der es zu einer Reihe kleinerer Zusammenstöße mit Schäden kam, geriet der amtierende Weltmeister kurz in die Bredouille. Der Bulle kam beim Start nicht ideal weg und sah sich vor der ersten Kurve von beiden McLaren flankiert. Noch vor Kurve zwei setzte er sich gegen Norris und Piastri durch und fuhr ein einsames Rennen mit 19 Sekunden Vorsprung auf den Suzuka-Zweiten ins Ziel. Auf der Honda-Rennstrecke, dem Suzuka International Racing Course, machte Verstappen mit seinem Triumph Motorpartner Honda das passende Geschenk zum 75-jährigen Firmenbestehen des japanischen Motorenherstellers. Die Ränge hinter dem Podium beendeten Charles Leclerc im Ferrari auf Platz vier gefolgt von Mercedes-Pilot Lewis Hamilton und Singapur-Sieger Carlos Sainz (Ferrari). George Russell (Mercedes) landete auf Rang sieben, Haas-Fahrer Nico Hülkenberg belegte den vorletzten Platz 14 vor Teamkollege Kevin Magnussen.
Für Sieger Verstappen war Suzuka „ein unglaubliches Wochenende. Das Auto hat mit jeder Reifenmischung gut funktioniert. Wir haben bisher ein unglaubliches Jahr, worauf ich sehr stolz bin. Sein Teamchef Christian Horner bescheinigt seinem Star-Piloten „auf einem ganz anderen Level als die Konkurrenz zu sein.“ Sportchef Helmut Marko sagte bei Sky zur Entwicklung des 25-jährigen „Überfliegers“: „Max ist im Speed noch besser geworden, aber er schüttet es mit einer Leichtigkeit und Souveränität aus, die unglaublich ist. Auch hat er die Reifen so unter Kontrolle wie damals Hamilton.“
Nach seinem Suzuka-Sieg ist Verstappen mit einem Vorsprung von 177 Punkten auf Teamkollegen Sergio Pérez (400:223) in Katar angekommen. Damit kann der Champion bereits am Samstag beim Sprint, dem „Quicki“ über 100 Kilometer, auf dem Losail International Circuit 20 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Doha, seinen dritten WM-Titel eintüten. Maximal sind noch 180 WM Punkte zu vergeben. Die verteilen sich wie folgt: Bei den ausstehenden drei Sprints in Katar, USA und Brasilien gibt es insgesamt 24 Punkte (acht für den Sieger), 150 Punkte für die noch sechs WM-Läufe in Katar, USA, Mexiko, Brasilien, Las Vegas und Abu Dhabi (25 Punkte für den Sieger) sowie sechs Punkte für die schnellste Rennrunde in den noch sechs Hauptrennen (ein Punkt für den Sieger). Hamilton steht nach wie vor auf Platz drei (190) vor Alonso (174), Sainz (150) und Leclerc (135). Bei diesen Punktekonten der Verstappen-Konkurrenz ist es ziemlich sicher, dass der Red-Bull-Superstar seinen dritten Titel beim Sprint (16.30 Uhr/Sky) noch vor dem Hauptrennen, dem Grand Prix am Sonntag (16 Uhr/Sky), in der Wüste sicher hat. Um die vorzeitige Titelverteidigung schon im Samstag-Sprint zu verhindern, muss Perez sechs Punkte (Platz drei) mehr holen als Chef-Fahrer Verstappen. Erreicht der „stramme Max“ aber mindestens Rang sechs (drei Punkte), kann ihm die Ausbeute von „Checo“ (die Abkürzung von Sergio) Perez egal sein, selbst dann, wenn Perez den Sprint gewinnt. Dem Niederländer würde also Platz sechs im „Quicki“ zur Titelverteidigung genügen. Sollte Verstappen seinen dritten WM-Titel schon vor dem eigentlichen Sonntag-Grand Prix klarmachen, wäre das ein Novum in der 74-jährigen Formel-1-Historie und ein „WM-Titel mit Kuriosität“.
Vor seinem souveränen zweiten Suzuka-Triumph musste Verstappen im Rennen zuvor in Singapur eine bittere Niederlage erleiden. Die Scharte im Nachtrennen und vor allem die öffentliche Häme über seinen fünften Platz hat ihn hart getroffen. Wir blicken zurück: Endlich! Endlich war sie gerissen, die grandiose, historische Siegesserie von Red Bull und Max Verstappen – nach 14 Saisonerfolgen in Folge, davon zwölf von Verstappen, der die letzten zehn Grand Prix in Folge für sich entschied. Die restlichen zwei Bullen-Siege hat sein Teamkollege Sergio Pérez beigesteuert. Endlich: Nach dem Ende dieser episch-erfolgreichen Triumphfahrten hat die Formel-1-Welt durch- und aufgeatmet. Endlich waren die Tifosi in Ekstase. Endlich Verzückung für die Ferraristi, die Oberfans von Ferrari. Endlich läuteten wieder die Glocken in Maranello – wie immer nach einem Formel-1-Sieg von Ferrari. Endlich nach 434 Tagen „Fastenzeit“ verlieh der Pfarrer der San Lorenzo-Kirche als glühender Fan des Motorsports seiner Freude über den Sieg der Roten lautstark Ausdruck. Endlich, endlich. Damit wir uns aber nicht missverstehen: Die eindrucksvolle Bullen-Bilanz, die im 15. Saisonrennen in Singapur ein abruptes Ende fand, hat nichts mit Schadenfreude zu tun. Jeder der 14 Bullen-Siege war verdient, weil die Mannschaft sich diese Triumphfahrten erarbeitet hatte – bis zum 15. Saisonrennen.
Sainz lässt aufhorchen
In dem „ungeliebten“ Grand Prix der Bullen im südostasiatischen Stadt- und Inselstaat Singapur (auf Deutsch: Löwenstadt) wurde die Red-Bull-Erfolgstruppe von Ferrari aus ihren Träumen gerissen. Das heißt: Die Hoffnungen auf eine makellose Saison mit 22 Siegen in 22 Saisonrennen war geplatzt. Die dunkelblauen Dauersieger waren plötzlich von der Rolle. Eine rote Göttin namens Ferrari war dazwischen gegrätscht. Der „Gott seiner roten Göttin“, der schwarzhaarige Spanier Carlos Sainz, brannte in dem taghell erleuchteten Nacht-Grand-Prix mit 1.600 Flutlichtprojektoren (viermal so hell wie die Flutlicht-Arena von Bayern München) auf dem 4,940 Kilometer verwinkelten Stadtkurs Marina Bay Street Circuit ein Feuerwerk der Extraklasse ab. Und diese Sonderaufführung über 62 Runden und einer Distanz von 306,143 Kilometer bei tropischer Hitze und 30 Grad. Eine Stunde und 46 Minuten hielt der Ferrari-Reiter die 80.000 Zuschauer an der Strecke in Atem. Carlos Sainz schrieb am 17. September Geschichte beim nächtlichen Glamour-Grand-Prix in Singapur.
Ferrari reiste nur mit gedämpften Hoffnungen zum Stadtkurs-Spektakel nach Asien. Aber die Poleposition des Spaniers machte Hoffnung auf mehr. Sainz konnte seine Führung nach dem Start auch verteidigen. Für Ferrari lief alles nach Plan, weil sich dahinter Charles Leclerc von Startplatz drei als Abschirmjäger an Mercedes-Emporkömmling George Russell vorbei auf Rang zwei schieben konnte. Im ersten Renndrittel passierte nicht viel. Sainz verwaltete an der Spitze die Führung im „Bummeltempo“, Angriffe der Verfolger im Spitzenpulk waren Mangelware. Erst in den Schlussrunden entwickelte sich der „Singa-GP“ zu einem wahren Krimi.
Vier Fahrer, drei Teams, und mittendrin die Mercedes-Starfighter George Russell und Lewis Hamilton. Drei Runden vor Renn-Ende schlossen die zwei schwarz lackierten Silberpfeile auf den McLaren von Lando Norris und den führenden Carlos Sainz auf. Russell kam jedoch nicht an seinem Landsmann Norris vorbei und schoss nach einem kleinen Fahr-/Flüchtigkeitsfehler in die Mauer. In der letzten Runde hielt der 25-jährige Brite dem selbst auferlegten Druck jedoch nicht mehr stand und schmiss sein Auto in die Barrieren. Aus und vorbei für den „Sternkrieger“, der mit seinen frischen Reifen fast am Sieg roch. Teamkollege Hamilton war jedoch zur Stelle, erbte nach dem Russell-Aus Platz drei hinter McLaren-Norris und bescherte Mercedes mit Schadensbegrenzung den sechsten Podestplatz in dieser Saison.
Kampf um die Ferrari-Führung
Carlos Sainz hat den zumindest in den letzten Runden dramatisch spannenden „Singa-GP“, wie er auch genannt wird, mit einer sensationellen taktisch-strategischen Meisterleistung gewonnen. Der Spanier zeigte ein nervenstarkes und intelligentes Rennen und gewann in seinem 177. Grand seinen zweiten Grand Prix nach Silverstone 2022. Nach dem Sieg beim Nachtrennen in Singapur hat Sainz endgültig Heldenstaus bei den Tifosi erlangt. Der 29-Jährige fährt nach der Sommerpause seit Monza (Pole-Mann und Renn-Dritter) in der Form seines Lebens und läuft dem einstigen Heilsbringer Charles Leclerc, der Vierter wurde, langsam den Rang ab. Er rüttelt jedenfalls gewaltig an der (noch) Nummer-eins-Stellung von Leclerc im Team. Beim „Nightrace“ hat er den Stallgefährten schon mal kräftig entzaubert. Sainz befreite die Formel 1 aus dem Schwitzkasten von Red Bull und Max Verstappen. Er bescherte Ferrari den insgesamt 243. Sieg, den ersten Triumph seit Leclercs Österreich-Triumph am 10. Juli 2022. Der Sainz-Sieg war ein Befreiungsschlag allererster Güte, der das monatelange rote Pleiten-Pech-und-Pannen-Team aus seiner Depression befreite. In Maranello atmeten sie kräftig durch. Die Ferrari-Crew sang sich bei der Nationalhymne Fratelli d’Italia mit Inbrunst die Seele aus dem Leib. Die Welt der Ferrari-Fans (Tifosi) war zumindest bis zum Rennen in Japan in Ordnung.