Die evangelischen Friedenskirchen in Niederschlesien stammen aus dem 17. Jahrhundert. Als aufwendig ausgestaltete Fachwerkbauten stehen sie auf der Unesco-Welterbe-Liste.
Über mit Schneegriesel bedeckte Felder streicht der Wind. Die Linden an den Alleen haben ihre Blätter abgeworfen. Weit in der Ferne sind Dächer des nächsten Ortes zu erkennen. Und mitten in der Ruhe ausstrahlenden Landschaft stehen zwei prachtvolle Kirchen – die Friedenskirchen im niederschlesischen Jauer (Jawor) und in Schweidnitz (Swiednica).
Ihre Entstehung geht auf den Westfälischen Frieden von 1648 zurück, mit dem der Dreißigjährige Krieg sein Ende fand. Deshalb wurden sie auch Friedenskirchen genannt. Die Unesco würdigte die beiden Kirchen in Jauer und Schweidnitz mit der Ernennung zum Weltkulturerbe, gelten sie doch als herausragendes Beispiel außergewöhnlicher Toleranz seitens der katholischen Habsburger Kaiser im damals überwiegend protestantischen Schlesien. Es war Kaiser Ferdinand III., der sein Einverständnis dazu gab, in den niederschlesischen Fürstentümern jeweils ein eigenes Gotteshaus zu bauen.
Keine Türme und Glocken erlaubt
Die beiden im Fachwerkstil errichteten Gotteshäuser wirken von außen schlicht, in ihrem Inneren aber überraschen sie die Besucher durch eine üppige barocke Ausstattung. Eine dritte Kirche dieser Art, die sich einst in Glogau befand, existiert heute nicht mehr. Nach einem Blitzeinschlag in Flammen verbrannt, wurde sie zwar wieder aufgebaut, doch später bei einem Stadtbrand zerstört.
Auch wenn laut Vertrag Andersgläubigen die freie Religionszugehörigkeit zugesichert wurde, wollten die katholischen Habsburger in Schlesien ihre Konfession letztlich doch durchsetzen. So erklärt es der Gemeindevorsitzende von Jauer und Schweidnitz, Teodor Drozdowicz: „Die Obrigkeit war von den Habsburgern eingesetzt worden und katholisch, da herrschte ein raues Klima zwischen den beiden Konfessionen. Das war auch der Grund, weshalb die Friedenskirchen viel prachtvoller als andere protestantischen Kirchen ausgestattet wurden. Es sollte nicht so kahl sein und den katholischen Gotteshäusern etwas entgegensetzen, doch auch von katholischer Seite wurde einiges unternommen, um möglichst viele Bewohner von Jauer für sich zurückzugewinnen. Deshalb mussten die Protestanten schließlich mit strengen Auflagen bauen.“
So waren Ziegel wie auch Steine als Baumaterialien verboten und nur die Verwendung von Holz, Lehm und Stroh erlaubt. Des Weiteren ordnete die Obrigkeit an, die neuen Kirchen außerhalb der Stadtmauern in Kanonenschussweite und ohne Türme und Glocken zu bauen. Als besondere Schikane wurde der Gemeinde auferlegt, die Bauzeit auf nur ein Jahr zu beschränken. Auch die Anzahl der Prediger reduzierte man in den Gemeinden. Das bedeutete für die Protestanten weniger Gottesdienste.
Die Friedenskirche „Zum Heiligen Geist“ in Jauer entstand in den Jahren 1654 bis 1655 nach einem Entwurf des Breslauer Architekten Albrecht von Saebisch, die Baukosten hatte die Gemeinde selbst zu tragen. Nach dem Dreißigjährigen Krieg waren die Bürger von Jauer verarmt und froh, dass sie viele Spenden protestantischer Gemeinden aus dem In- und Ausland erhielten. Und es scheint heute wie ein Wunder: trotz der auferlegten Beschränkungen entstand ein außergewöhnliches Bauwerk mit einzigartiger Ausstattung.
Die Kirche ist ein dreischiffiger Bau ähnlich einer Basilika. Sie fasst bis zu 6.000 Menschen. Damit die große Zahl von Gottesdienstbesuchern Platz fand, wurden insgesamt vier durchgehende Emporen gebaut. Zwei entstanden bereits beim Bau der Kirche, zwei weitere wurden Anfang des 18. Jahrhunderts hinzugefügt. Die Innenausstattung ist üppig – besonders sehenswert sind die an den Emporen angebrachten rund 150 Gemälde. Sie sind auf Holz oder Flachsleinen aufgetragen und stellen vorwiegend Szenen aus dem Alten und Neuen Testament dar. Ein weiterer Blickfang ist die vollständig im schlesischen Volksstil ausgemalte Kassettendecke. Zu den ältesten Elementen der Kirchenausstattung gehören ein sechseckiges Taufbecken aus Holz und vier Beichtstühle.
1672 stiftete die Familie von Hochberg den barocken Hochaltar. Das zentrale Altargemälde wurde zum 200. Jahrestag der Kirche eingefügt und stellt „Jesus in Gethsemane“ dar. Zu beiden Seiten des Altars befinden sich die prächtigen Logen der Familie von Schweinitz und der Grafen von Hochberg.
Den Zweiten Weltkrieg überstand die Friedenskirche „Zum Heiligen Geist“ unbeschadet. Zu Zeiten des Sozialismus wurde die Kirche enteignet, es kam auch zu Diebstählen. Anfang der 1990er-Jahre begannen die über ein Jahrzehnt währenden Renovierungsarbeiten. Heute zählt die Kirche zu den bedeutendsten Kirchenbauten Schlesiens und gehört zur evangelisch-lutherischen Gemeinde.
Knapp 40 Kilometer von Jauer entfernt liegt Świdnica. Die dortige Friedenskirche „Zur Heiligen Dreifaltigkeit“ ist die noch prächtigere und größte Fachwerk-Kirche in Europa. Das Innere ist im Stil des Barock gehalten. Über dem Haupteingang präsentiert sich auch hier die reichverzierte Loge für die Familie von Hochberg, die Besitzer des nahe gelegenen Schlosses von Fürstenstein. Der Graf spendete allein zwei Drittel des für den Bau der Kirche notwendigen Holzes, nämlich rund 2.000 Eichen.
Bachfestival im Sommer
Zwei- und dreigeschossige Emporen umgeben den gesamten Innenraum, der Platz für insgesamt 7.500 Menschen hat. Doch der Andrang war oft so groß, dass an Sonntagen Gottesdienste in zeitlich versetzten Schichten gehalten wurden.
Ab dem Ende des 17. Jahrhunderts wurde der Kirchenbau immer mehr ausgeschmückt. In dieser Zeit entstanden auch die wertvollen Deckenmalereien. Sie stellen unter anderem den Fall Babylons und das Jüngste Gericht dar, der barocke Hochaltar zeigt die Taufe Jesu’. Über dem Hochaltar befindet sich eine kleine Orgel. Wunderschön anzusehen ist der eine Posaune blasende Engel, der das Jüngste Gericht ankündigt. 1708 durften die Schweidnitzer Protestanten dann sogar einen Glockenturm errichten.
Teodor Drozdowicz ist in Schweidnitz geboren und Vertreter der Kirchengemeinde. „Schweidnitz war ja bis zum 19. Jahrhundert eine Festung und wurde auch im Schlesischen Krieg von Friedrich dem Großen belagert. Sehr viele Leute postierten sich um die Kirche, mit Löscheimern und Decken und löschten Brände, die durch die heißen Kugeln entfacht wurden – noch heute sind die Einschusslöcher zu sehen.“
Sehenswert sind in der Friedenskirche selbst auch die zahlreichen noch erhaltenen Kirchenbücher, seit 1652 beschrieben und einsehbar für Besucher. Wer die Kirche als Konzertort erleben will, sollte im Sommer hierher kommen – seit 2000 findet in Schweidnitz ein renommiertes Bach-Festival statt.