Die deutschen Skispringer blicken erneut auf eine erfolgreiche Saison zurück. Angeführt von „Goldjunge" Andreas Wellinger imponierten die „Adler" des Deutschen Ski-Verbandes (DSV) besonders bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang – und ließen dabei den verletzten Weltmeister Severin Freund beinahe vergessen.
Wie geht es eigentlich Severin Freund? Entgegen vielerlei Befürchtungen gehörte im Lager der deutschen Skispringer die Frage nach der Genesung ihres Weltmeisters und langjährigen Vorspringers im ausgeklungenen Olympia-Winter zu den Randaspekten. Denn auch ohne ihren Routinier trumpften die Adler des Deutschen Ski-Verbandes (DSV) in der Ende März beendeten Saison teilweise sogar in imponierender Manier auf und zementierten ihren Platz in der absoluten Weltspitze.
Vor allem dank Andreas Wellinger. Mit seinem Olympiasieg auf der Normalschanze und seinen beiden Silbermedaillen bei den Winterspielen in Pyeongchang auf dem großen Bakken und mit der Mannschaft avancierte der Bayer zu einer der ganz großen Nummern der Skispringer-Szene. Doch auch der Podestplatz in Südkorea für das Team unterstrich für den Kader von Bundestrainer Werner Schuster ein Jahr nach dem bitteren vierten Platz bei den Weltmeisterschaften in Lahti die oft zitierte Breite in der Spitze.
Wellinger und besonders auch noch der wiedererstarkte Richard Freitag sowie ihre Kollegen lieferten sich gerade in der Vorbereitung auf Olympia einen Dauerkampf auf Augenhöhe mit Polens Überflieger Kamil Stoch und Norwegen. Österreicher, Finnen, Schweizer, Slowenen oder Japaner – alle konnten nicht an das Niveau der Deutschen und ihrer stärksten Rivalen heranreichen.
Auch ohne Freund in der Weltspitze
Angesichts des olympischen Glanzes lässt sich eine vergleichsweise mäßige Gesamtbilanz im Weltcup für die deutschen Überflieger, bei denen nach der Rückkehr aus Pyeongchang weitgehend die Luft raus war, recht locker verschmerzen. Wellinger stand durch seinen Sieg Anfang Dezember im russischen Nischni Tagil sowie fünf weiteren Podestplatzierungen nur halb so oft auf dem Podium wie im vorherigen Winter. Dafür kämpfte Freitag bis zum letzten Sprung beim Saisonfinale in Planica nach zuvor drei Erfolgen und fünf zweiten Plätzen um den zweiten Platz in der Gesamtwertung hinter Stoch.
An dem Polen scheiterten auch die Bemühungen von Schusters Mannen um den ersten Triumph bei der Vierschanzen-Tournee. Wellinger musste sich nach den Flugshow-Spektakeln rund um den Jahreswechsel nur Stoch geschlagen geben, nachdem die Träume des vorherigen Mitfavoriten Freitag durch einen Sturz frühzeitig geplatzt waren. Immerhin sorgten Freitag und danach Wellinger dafür, dass auf allen vier Tournee-Stationen immer auch ein DSV-Adler auf dem Podest landete.
Hoffnung auf noch viele wenigstens ähnliche Bilder macht natürlich besonders Wellinger. Mit seinen erst 22 Jahren ist der Ruhpoldinger für die deutschen Springer und ihre Perspektiven geradezu ein Wechsel für die Zukunft – auf eine erfolgreiche Zukunft.
Schuster macht angesichts von Wellingers Potenzial auch gar keinen Hehl aus den Erwartungen an seine neue Galionsfigur. „Andi", sagte der Coach zum Saisonausklang zum wiederholten Male, „Andi ist noch sehr jung, hat deswegen noch einige gute Jahre vor sich und vor allem noch Ziele. Er ist noch nicht Einzel-Weltmeister und hat auch noch nicht die Vierschanzen-Tournee gewonnen. Die Aufgaben werden ihm also nicht ausgehen und damit auch nicht die Motivation."
Zusätzlicher Antrieb für Wellinger könnte die Aussicht auf seinen Aufstieg zum erfolgreichsten deutschen Skispringer bei Olympischen Spielen sein. Durch einen weiteren Olympiasieg 2022 in Peking würde der Publikumsliebling nach seinen Erfolgen von Pyeongchang und dem Mannschafts-Gold von 2014 in Sotschi den Oberwiesenthaler Jens Weißflog (dreimal Gold und einmal Silber bei Olympia) als „ewige Nummer eins" der DSV-Adler bei Winterspielen ablösen.
Auch Wellinger selbst ließ nach seiner für einen deutschen Skispringer schon einmaligen Bilanz bei einzelnen Winterspielen keine Zweifel an seiner Entschlossenheit zur Erweiterung seiner Titel- und Medaillensammlung. „Stillstand ist Rückschritt", beschrieb Wellinger sein Credo auch nach Pyeongchang mehrfach ausdrücklich und blickte damit bereits vor allem auf die beiden nächsten Weltmeisterschaften 2019 in Seefeld/Österreich und zwei Jahre später im heimischen Oberstdorf.
Vierschanzen-Tournee als großes Ziel
Flankiert werden dürfte Wellinger bei den beiden Höhepunkten auch weiterhin von seinen auch nur vier Jahre älteren Teamkollegen Freitag und dem Normalschanzen-WM-Dritten Markus Eisenbichler. In einem ähnlichen Alter sind auch Wellingers und Freitags Pyeongchang-Silberkollegen Karl Geiger und Stefan Leyhe. Sollte außerdem Freund nach seinem zweiten Kreuzbandriss wieder vollständig genesen und zu früherer Topform zurückfinden können, erscheinen weitere große Erfolge für die DSV-Springer schon programmiert.
Ob jedoch weiterhin Schuster die Geschicke von Wellinger und Co. leiten wird, ist noch offen. Der Österreicher ließ sich nach Pyeongchang nicht auf eine Verlängerung seines noch bis 2019 laufenden Vertrages festlegen und liebäugelt nach zehn immer erfolgreicheren Jahren als Bundestrainer mit einem Rückzug aus vorderster Linie.
„Ich kann noch keine seriöse Antwort auf die Frage nach einer Fortsetzung meiner Tätigkeit geben. Ich arbeite wirklich intensiv und stecke viel Energie in meine Arbeit. Da muss man sich schon gut überlegen, wie das weitergeht", meinte der 48-Jährige in Pyeongchang zu seiner persönlichen Zukunft. Mit seinem Team reise Werner Schuster trotz seines Alters immer noch rund 200 Tage durch die Welt, doch „das hat sicher irgendwann ein Ablaufdatum".
Seine Schützlinge jedenfalls wollen unbedingt mit ihrem Coach weiter zusammenarbeiten und setzten dafür sogar ihren Verband unter Druck. „Wir tun alles dafür, dass er motiviert ist weiterzumachen", sagte Wellinger und sieht Schusters Entscheidung in letzter Konsequenz als eine Frage des Preises: „Alles andere muss sich der DSV überlegen."