Die Wasserballer haben sich erstmals seit fünf Jahren wieder für eine Weltmeisterschaft qualifiziert. Der Vater des Erfolges ist ein alter Bekannter.
Als Hagen Stamm im Jahr 2000 zum ersten Mal das Amt des Wasserball-Bundestrainers annahm, hatte er innerlich fast keine andere Wahl gehabt. Er fühle sich der Nationalmannschaft, „die momentan international auf dem Beckenboden abgesoffen ist, verpflichtet", sagte Stamm bei seiner Vorstellung. Als im Herbst 2016 die Situation im deutschen Wasserball sogar noch prekärer war, weil der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) wegen der vielen Rückschläge in der Fachsparte kein Geld mehr für eine Vollzeit-Bundestrainerstelle hatte, sprang Stamm zum zweiten Mal ein. Der Grund war derselbe wie damals: „Ich mache das, weil mein Herz für Wasserball schlägt. Die Jungs verdienen es, dass da jemand steht, der sie zurück auf die Weltbühne bringen kann. Es ist ein Risiko, aber ich bin sicher, dass ich es schaffen kann."
Stamm hat es geschafft. Unter seiner Regie qualifizierte sich die deutsche Männer-Nationalmannschaft beim Heim-Weltcup in Berlin Mitte September auf den letzten Drücker doch noch für die Weltmeisterschaft 2019 in Gwangju/Südkorea. Der vierte Platz beim hochklassig besetzten Turnier im Europasportpark reichte für das WM-Ticket. Die vergangenen zwei Weltmeisterschaften in Kasan und Budapest sowie die zwei Olympischen Spiele in London und Rio de Janeiro hatte die DSV-Auswahl verpasst. Jetzt spielt die Stamm-Truppe endlich wieder im Konzert der Großen mit. „Ich bin stolz auf die Jungs", sagte der Bundestrainer. „Sie haben nicht alles richtig gemacht, aber sehr viel. Vor allem haben sie die Begeisterung, Leidenschaft und den Teamgeist gezeigt, den wir lange vermisst haben." Vor allem der 12:10-Auftaktsieg gegen den späteren Turniersieger Ungarn brachte Stamm ins Schwärmen. „Meine Jungs haben überdimensional stark gespielt", sagte er. „Ich weiß gar nicht, ob wir in diesem Jahrtausend überhaupt schon gegen Ungarn gewonnen haben."
Ein Blick in die DSV-Statistik gab Aufschluss: Vor acht Jahren gelang es einem deutschen Team zuletzt, die Wasserball-Weltmacht zu schlagen. In 160 Länderspielen gegeneinander verließ man erst zum 25. Mal als Sieger das Becken. Klar: Das bereits zuvor für die WM qualifizierte ungarische Team trat in Berlin mit einer besseren Nachwuchsmannschaft an. Ein toller Erfolg war der Sieg dennoch. Auch wenn nur 400 Fans am späten Samstagabend in den Europasportpark gekommen waren.
„Die Jungs verdienen es"
Nicht nur Stamm hätte sich mehr Zuschauer gewünscht, doch die Misserfolge der vergangenen Jahre haben die Randsportart Wasserball noch weiter ins Abseits befördert. Die WM in Südkorea ist deshalb eine große Chance. Stamm hat auch die Hoffnung, dass das Bundesinnenministerium und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) nun wieder etwas mehr Fördergeld überweisen als zuletzt. „Ich hoffe, der DOSB hilft uns jetzt und hat gesehen, dass es sich lohnt, in diese Mannschaft zu investieren", sagte Stamm der „Bild-Zeitung". „Es macht keinen Sinn, weiter zu kürzen, sondern es müssen die Töpfe aufgemacht werden, das haben wir uns verdient." Das Geld wird dringend für die Lehrgänge benötigt, vor allem aber für die Nachwuchsarbeit. Denn dort hapert es nach wie vor. In diesem Jahr hat die U19-Mannschaft des DSV erstmals die Europameisterschaft verpasst, sie war also aus den Top-16 herausgefallen. Dies sei „ein alarmierender Fakt", findet Stamm. „Wir brauchen Druck von unten, mehr talentierten Nachwuchs."
Den Stamm der Nationalmannschaft bilden seit Jahren fast die gleichen Haudegen. Trainer-Sohn Marko Stamm gehört dazu, genau wie Kapitän Julian Real und der mittlerweile eingebürgerte Kroate Mateo Cuk. Der 28 Jahre alte Center hatte die EM in Barcelona wegen einer Schulterverletzung verpasst. Wenn der Spandauer fit ist, ist er der beste Center, der hierzulande zu finden ist. In seiner Heimat Kroatien hatte er keine Chance auf eine Nominierung ins Nationalteam.
In Berlin hat sich aber vor allem Moritz Schenkel in den Vordergrund gespielt. Er wurde zum besten Torhüter des Weltcups gewählt. Schenkel (28) ist ein Spätstarter, erst im Alter von zwölf Jahren kam er zum Wasserball, weil seine Handball-Mannschaft sich zu jener Zeit aufgelöst hatte. Gleich im ersten Jahr wurde Schenkel mit den Schülern des ASC Duisburg deutscher Meister, im Juni gelang ihm das bei den Männern mit seinem Club Waspo Hannover. Der besiegte im Finale Erzrivale Wasserfreunde Spandau, den Rekordmeister. In der Vergangenheit waren die Spandauer und Hannoveraner nicht immer gut miteinander ausgekommen. Aber unter Stamm, pikanterweise seit gefühlten Ewigkeiten Spandau-Präsident, ist die Rivalität kein Problem. „Es gab hier vom ersten Tag an nie Waspo oder Spandau, sondern nur ein deutsches Team", sagt er.
„Sie haben so hart gearbeitet"
Und dieses Team nahm für das ersehnte WM-Ticket viele Strapazen auf sich. Insgesamt 100 Tage versammelte Stamm seine Spieler, um sie auf den Weltcup in Berlin vorzubereiten und einzuschwören. „Sie haben so unglaublich hart gearbeitet und sich die WM wirklich verdient", sagt Stamm. Augenzwinkernd fügt er hinzu: „Auch der Halbtagstrainer hat sich für den Aufwand belohnt." Sein Vertrag mit dem DSV läuft Ende des Jahres aus. Dass der Verband bis dahin eine Lösung für eine Vollzeitstelle findet, ist nicht zu erwarten. Er wolle sich zunächst um seine Familie und seine Firma, ein Fahrradgeschäft, kümmern, „dann werde ich mich irgendwann mit dem DSV zusammensetzen und reden", sagt Stamm und betont: „Ich bin da völlig entspannt."
Eigentlich ist es unvorstellbar, dass „Mr. Wasserball" die Mannschaft nicht bei der WM betreut, nachdem er sie überhaupt erst dorthin geführt hat. Aber Stamm will sehen, dass für seine Maßnahmen auch im kommenden Jahr, wenn es um die wichtige Olympia-Qualifikation geht, Geld zur Verfügung steht. Bei den Sommerspielen 2020 will das deutsche Team wieder auftauchen, nachdem es 2012 und 2016 gefehlt hatte. Sollte das gelingen, ist Spaß programmiert. Die deutschen Wasserballer waren in der Vergangenheit immer große Stimmungskanonen im olympischen Athletendorf. 2008 in Peking zogen sie mit dem Plakat ein: „Wir mögen pralle Bälle und feuchte Becken."
Sportlich liegen die größten Erfolge aber bereits Jahrzehnte zurück. Bei den beiden EM-Titeln (1981 und 1989) war Stamm genauso als Spieler dabei wie bei Olympia-Bronze 1984. Der Mann holte zudem 14 Mal in Folge den deutschen Meistertitel, zwölf Pokalsiege und vier Triumphe im Europacup der Landesmeister mit Spandau. Als Bundestrainer führte er Deutschland bei Olympia 2004 in Athen auf einen beachtlichen fünften Rang.
Von solchen Dimensionen ist er bei seiner zweiten Amtszeit weit entfernt. Aber er ist mit demselben Herzblut bei der Sache.