Spandau 04 verliert seine jahrzehntelange Vormachtstellung im deutschen Wasserball endgültig. Wie im Vorjahr ging mit dem Supercup der erste Titel der neuen Saison nach Hannover.
Es sollte wie pures Understatement klingen, was Bernd Seidensticker, Präsident und Macher von Waspo Hannover vor dem Supercup-Endspiel am letzten Wochenende mit Unschuldsmiene ins Mikrofon sprach: „Wir können nicht davon ausgehen, dass wir jedes Spiel gegen Spandau gewinnen." Genau betrachtet war es allerdings der nächste Stich, den Seidensticker seinen Lieblingsfeinden aus Berlin von Spandau 04 versetzte. Und eine Aussage, die die neuen Kräfteverhältnisse im deutschen Wasserball unterstrich. Lange Jahre lief Waspo Hannover den Spandauern und ihren Serienerfolgen hinterher, jetzt endlich konnte Seidensticker, früher selbst Spieler und Trainer bei Waspo, gönnerhaft feststellen: „Für mich ist das heute eine Fünfzig-fünfzig-Situation." In Berlin schätzten die Verantwortlichen die Lage im Vorfeld bereits etwas defensiver ein und betitelten ihre Pressemitteilung zurückhaltend: „Supercup: nationales Kräftemessen mit neuen Vorzeichen".
Seidensticker legte am Beckenrand kurz vor dem Supercup-Endspiel bei den Kollegen vom Sportbuzzer noch einmal nach. „Das ist der uninteressanteste Titel, aber es ist ein Titel." Übersetzt sollte es heißen: Wir nehmen den Supercup heute gern mit. Wirklich wichtig wird am Ende allerdings nur die Meisterschaft. Oder gar die Champions League?
Doch soweit ist es noch lange nicht, und ein Blick in die Historie des Supercups lohnt. 1979 wurde der Titel erstmals ausgespielt und nach einem 9:2 gegen Würzburg 05 von den Wasserfreunden Spandau 04 gewonnen. Der Supercup, bei dem die Teams um die vom ehemaligen Wasserballwart der Wasserfreunde, Günter Schwill, gestiftete Trophäe, eine Statue des „Jünglings von Olympia" – eine Nachbildung eines Werks des antiken Bildhauers Praxiteles – kämpfen, findet trotz seiner fast vier Jahrzehnte zurückliegenden Premiere erst zum 19. Mal statt. Das übliche Konzept des Supercups (Meister gegen Pokalsieger) führte im deutschen Wasserball immer wieder zu Problemen. Weil die Berliner beinahe in jedem Jahr das Double gewannen, musste meist ein „Vize" als Gegner bemüht werden. 1979 bis 1985, 1997 bis 2003 und nun wieder seit 2014, das sind die bisherigen drei Etappen der 18 Supercups, den bisher 15-mal die Wasserfreunde (1979 bis 1985, 1997, 1999, 2001 bis 2003, 2014 bis 2016) und dreimal Waspo (1998, 2000, 2017) gewannen. Ein klassisches Final-Match gab es nur einmal: 1998 zwischen Spandau und dem Pokalsieger Hannover. Die Niedersachsen gewannen in Berlin mit 7:5. Die 18. Auflage des Supercups in Berlin-Schöneberg, gemeinsam von Spandau 04 und OSC Potsdam ausgerichtet, fand schließlich 2017 nach der Wiedererweckung des Wettbewerbs 2014 erstmals als Vierer-Turnier statt. Nach dem Turnier im Jeder-gegen-jeden-Modus besiegten die Hannoveraner die Berliner mit 9:8 Toren. Auch in diesem Jahr trafen diese beiden Teams bekanntlich im Supercup-Finale aufeinander. Den Austragungsort Hannover konnten die Hauptstädter dabei als gutes Omen auffassen. Dreimal wurde dort das Supercup-Finale gespielt und jedes Mal gewannen die Wasserfreunde: 1983 gegen Duisburg 98 (8:7), 1985 gegen Rote Erde Hamm (9:5) und 1999 gegen Waspo (7:5). Spandau und die Niedersachsen trafen in diesem Wettbewerb sechsmal aufeinander, die Bilanz ist mit 3:3 Siegen ausgeglichen.
Spandaus Trainer erkennt positive Ansätze
Für Spandau gab es in diesem Jahr trotzdem nichts zu holen. Das Team aus Hannover konnte seinen Erfolg aus dem letzten Jahr mit einem 11:8-Sieg gegen die Wasserfreunde bestätigen. Nachdem die ersten vier Begegnungen des in Turnierform ausgetragenen Supercups kaum Zuschauer in das Stadionbad gelockt hatten, waren die Spiele um den dritten und den ersten Platz besser besucht. Im Spiel Hannover gegen Berlin lagen die Wasserfreunde nur einmal kurzfristig, mit 3:2 in Führung. Die individuelle Spielstärke der Mannschaft von Waspo-Trainer Carsten Seehafer, speziell von Darko Brguljan, waren die Basis für den erneuten Erfolg. „Das Ergebnis geht in Ordnung. Wir haben acht Überzahlsituationen nicht genutzt und nicht gut genug verteidigt", resümierte der Spandauer Manager Peter Röhle für DPA.
Waspo-Trainer Karsten Seehafer befand trocken, momentan sei Hannover „besser auf allen Positionen, mit Luft nach oben". Das Berliner Team wartet somit nach wie vor auf den ersten Sieg dieser Saison in einem Spiel auf hohem Niveau, ob nun in der Champions League oder auch gegen den aktuellen Deutschen Meister aus Hannover. Spandaus Trainer Petar Kovacevic erkennt trotzdem bereits positive Spielansätze seines Teams. Diese sollen bis zum nächsten Champions-League-Spiel am 21. November in Athen mithilfe einer konzentrierten Trainingsarbeit deutlich verbessert werden.
Was die Wassersportler aus dem Westen Berlins trotzdem nicht mehr verhehlen können: Die Wachablösung im deutschen Wasserball scheint sich vollzogen zu haben. „Wir sind die erste Adresse in Deutschland", sagt Bernd Seidensticker mit Stolz in das Sportbuzzer-Mikrofon. Sein Trainer Karsten Seehafer betont an der gleichen Stelle mehrfach die drei Titel, die Waspo in der vergangenen Saison der Konkurrenz aus Berlin abknöpfte. Gleichzeitig lässt er durchblicken, worauf sich das neue Selbstverständnis in Hannover ausrichtet: „Der Fokus liegt momentan sehr auf der Champions League." Der Start gelang den Niedersachsen mit einem Unentschieden gegen Titelträger Olympiakos Piräus furios.
Das Champions-League-Finale der acht besten europäischen Mannschaften haben die umtriebigen Funktionäre von Waspo für die nächsten Jahre nach Hannover lotsen können, einschließlich der Qualifikation des eigenen Teams am „Grünen Tisch". Die legendären Wasserballer aus Spandau wirken bei so viel Engagement aus Hannover inzwischen etwas ratlos, ihnen droht der Verlust der eigenen Identität als Seriensieger.
Doch die Berliner versuchen, ruhig zu bleiben und nicht die innere Mitte zu verlieren. Das wird in Zukunft nicht leicht, denn eins scheint klar: Der neue Nabel der deutschen Wasserballwelt liegt jetzt in Hannover.