Endlich legt die Wasserball-Bundesliga wieder los, zum 100. Mal wird der Deutsche Meister ermittelt. Alle Experten erwarten ein Titel-Duell zwischen Spandau und Hannover.
Das Olympia-Aus tat weh, aber inzwischen hat Hagen Stamm auch das verarbeitet. Gern hätte „Mister Wasserball" die deutsche Nationalmannschaft nach Tokio geführt und dort seine insgesamt sechsten Olympischen Spiele erlebt. Doch das Qualifikationsturnier in Rotterdam – und damit auch Stamms zweite Amtszeit als Bundestrainer – endete mit einem Debakel: Vorrunden-K.-o. als Gruppenletzter. Es fehlten einige Leistungsträger, das Glück – und die Spielpraxis. „Weil in der Bundesliga monatelang nicht gespielt wurde, hatten wir im Vergleich zu anderen Nationen einen klaren Nachteil", sagte Stamm. Aufgrund der Corona-Pandemie ruhte der Ball seit September, jetzt fliegt er wieder übers Wasser. Ab dem 20. März nimmt die Wasserball-Bundesliga ihren Spielbetrieb wieder auf – und auch Stamm ist mittendrin. Nicht als Trainer, sondern als Präsident von Wasserfreunde Spandau 04. „Ich freue mich, dass es wieder losgeht", sagte der frühere Europameister, der in Deutschland nach wie vor das Gesicht seiner Sportart ist. Den Spielern seines Clubs geht es nicht anders. „Alle brennen auf den Start, alle haben große Lust", berichtete Stamm. Der 60-Jährige erwartet wie alle anderen Experten auch einen Titel-Zweikampf zwischen Rekordmeister Spandau und dem letztjährigen Champion Waspo 98 Hannover. „Wenn wir in Vollbesetzung spielen, haben wir die bessere Mannschaft", meinte Stamm. „Sollte es zur Finalserie Spandau gegen Hannover kommen, werden am Ende aber die Tagesform und die Disziplin entscheiden."
Vielleicht entscheidet am Ende aber auch Corona. Der Supercup zwischen den Top-Teams eine Woche vor dem Ligastart musste abgesagt werden, weil sich ein Hannover-Spieler beim Champions-League-Turnier in Budapest mit dem Virus angesteckt hat und die Mannschaft in Quarantäne geschickt wurde. Ob der Titelverteidiger gleich zu Beginn der Liga wieder ins Becken springen kann, war bei Redaktionsschluss noch offen. „Der positive Test war ein kleiner Schock für uns", sagte Teammanager Michael Skibba. „Zwei Wochen ohne Training ist natürlich eine Katastrophe. Aber die Mannschaft ist so gut, dass sie das wegstecken muss." Denn Hannover will weiter am Thron des Rekordmeisters aus Spandau rütteln. „Es herrscht eine große Rivalität", sagte Skibba. „Unser Erfolg nervt die Spandauer natürlich – und entsprechend reagieren sie auch manchmal gereizt."
„Unser Erfolg nervt die Spandauer natürlich"
Fakt ist: Die Zeiten, in denen Spandau schon vor der Saison praktisch als kommender Meister feststand, sind vorbei. Zwei der letzten drei Meisterschaften gingen an Hannover, wo der Vorsitzende Bernd Seidensticker und Trainer Karsten Seehafer mit viel Know-how und auch Geld einen mehr als nur ernst zu nehmenden Konkurrenten für den Branchenprimus aus Berlin geformt haben. „Über Jahrzehnte wurde immer die gleiche Frage gestellt: ‚Wie kann man ein Team motivieren, dass immer wieder den Titel gewinnt?‘ Diese Frage stellt jetzt keiner mehr", sagte Spandaus Teammanager Peter Röhle. Er sei sogar froh, dass 300 Kilometer westlich ein so starker Rivale erwachsen ist, „denn um Spannung aufzubauen, muss man auch mal verlieren". Außerdem sei so ein Duell auf Augenhöhe gut für die Sportart, die durch das Verpassen der Sommerspiele – zum dritten Mal in Folge – ohnehin vor großen Problemen steht. Ob jetzt öffentliche Fördergelder vom Staat und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) gestrichen werden, ist noch offen. Klar ist aber, dass der deutsche Wasserball sich nicht auf der größten Sportbühne präsentieren kann. Die Nachwuchsprobleme werden dadurch sicher nicht kleiner – im Gegenteil. Schon jetzt hat jeder Bundesligaverein im Unterbau Probleme, auch die größeren Clubs. „Auch deshalb ist es wichtig, dass die Bundesliga wieder anläuft", sagte Röhle.
Damit das in Zeiten steigender Corona-Fälle überhaupt möglich ist, musste der Modus geändert werden. Er wird wie in Turnierform ausgetragen. Die acht besten Teams des Vorjahres steigen am 20./21. März ein, die acht anderen Clubs erst am 10. April. Hannover ist Topfavorit seiner Gruppe A (mit White Sharks Hannover, ASC Duisburg, SSV Esslingen), Spandau ist in der Gruppe B (mit OSC Potsdam, SV Ludwigsburg 08, SG Neukölln) das Maß der Dinge. Durch die neue Einteilung werden auch längere Reisen vermieden, was aufgrund von Corona wichtig ist. Es folgt eine zweite Gruppenphase mit neuen Gruppen, das Meisterschaftsfinale im Modus „Best of Five" startet am
19. Mai, spätestens zehn Tage später steht der Deutsche Meister fest. Als Extra-Motivation gibt es ein Jubiläum zu feiern: Zum 100. Mal wird der deutsche Wasserball-Meister ermittelt. „Das ist ein besonderer Anreiz, aber unsere Spieler sind auch ohne die Zahl 100 hochmotiviert", sagte Spandau-Teammanager Röhle.
„Das hat uns kaum jemand zugetraut"
Dass der Titel wohl nur über Spandau und Hannover geht, haben auch die jüngsten Auftritte in der Champions League gezeigt. Hannover überzeugte vor allem beim 10:3-Sieg gegen Dynamo Tiflis mit einem überragenden Moritz Schenkel im Tor. „Das war vielleicht sogar unsere beste Leistung in dieser Klasse", freute sich Trainer Seehafer. Noch überzeugender waren aber die Auftritte der Spandauer, die bei der einzigen Niederlage gegen den kroatischen Club Jug Dubrovnik (10:12) weitestgehend auf Augenhöhe agierten und bei den beiden Unentschieden gegen Olympiakos Piräus (8:8) sowie CN Marseille (7:7) viel Pech hatten. „Das hat uns wohl kaum jemand zugetraut", sagte Trainer Petar Kovacevic. „Wir können also doch noch Wasserball spielen." Auch bei Spandau glänzte der Schlussmann Laszlo Baksa, der noch immer zu großen Taten fähig ist.
Noch weit weg von seiner Topform ist dagegen Stefan Pjesivac. Der Centerspieler aus Montenegro hat noch immer einen erheblichen Trainingsrückstand, weswegen er auch nicht zum Champions-League-Turnier mitgenommen wurde. Das sei „ein letzter Warnschuss", betonte Stamm. „Stefan hat deutlich Übergewicht und ist in einem solch schlechten körperlichen Zustand bei uns erschienen, dass er zu Hause bleiben muss." Mit dem Club hat der Profi einen Deal ausgehandelt: In zehn Wochen nimmt er pro Woche ein Kilogramm ab. „Er kann richtig gut spielen, aber die Disziplin muss auch stimmen", sagte Röhle. Denn die Wasserfreunde wissen, dass sie sich im Duell gegen Hannover keine Schludrigkeiten leisten können. Stamm hat sogar noch den OSC Potsdam als Titelkandidaten auf dem Zettel. „Dort sind jetzt fünf Kaderspieler im Aufgebot. Wir erwarten, dass sie auch den beiden Großen Paroli bieten wollen", so Stamm. Klar ist: Je mehr Spannung, desto besser für den Wasserball. Rückschläge gab es für die Sportart zuletzt genug.