Die BR Volleys haben sich einen Olympiasieger geleistet. Eder Carbonera wechselt aus São Paulo nach Berlin und soll die große Lücke im Mittelblock schließen.
Als „Eder Carbonara" stellte der Pressesprecher der BR Volleys den neuen Starspieler vor, ehe ihm die Verwechslung mit dem Nudelgericht auffiel: „Mist, ich sage immer Carbonara. Er heißt Carbonera." Keine Sorge: An den Namen Eder Carbonera wird man sich schnell gewöhnen, denn der Mittelblocker soll in der kommenden Saison das Spiel des zehnmaligen Meisters in der Volleyball-Bundesliga mitbestimmen. Die Qualität dafür bringt er freilich mit: Carbonera kommt vom brasilianischen Topclub Sesi São Paulo, in seiner Heimat wurde er mehrfacher Meister und Pokalsieger. In der abgelaufenen Saison gewann er mit São Paulo die Südamerika-Meisterschaft und wurde obendrein zum besten Mittelblocker der Copa Libertadores gekürt. Noch beeindruckender ist seine Bilanz mit der Nationalmannschaft Brasiliens, mit der er 2016 im eigenen Land Olympiasieger wurde. „Brasilianisches Gold für die BR Volleys", titelte daher der Club auf seiner Internetseite über die Meldung zum Transfercoup. Die Hoffnungen sind groß, dass der Mittelblocker, der seit Jahren zu den besten der Welt auf dieser Position zählt, das Team vor allem im internationalen Vergleich ein Stück voranbringt. „Mit seiner Routine und Qualität wird er eine Säule unseres Teams sein", prophezeite Volleys-Manager Kaweh Niroomand. Carbonera sei ein Gewinnertyp, der vor allem in den Duells gegen die finanzkräftigeren Vereine aus Italien, Polen und Russland helfen soll: „Er hat auf allerhöchstem Niveau so ziemlich alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt."
„Er wird eine Säule unseres Teams sein"
Nicht nur Niroomand ist sich sicher: Der Mann mit der der Schuhgröße 50 (!) wird in der Bundesliga große Fußspuren hinterlassen. Das ist auch nötig, da in Georg Klein, Nicolas Le Goff und Jeffrey Jendryk drei starke Mittelblocker den Club verlassen haben. „Eder kann diese Lücken mit seiner Persönlichkeit und Klasse füllen", glaubt Niroomand.
Wie aber konnte Deutschlands Topclub einen Spieler dieser Klasse an Land ziehen? Sein Club in São Paulo traf die Corona-Krise extrem hart, er musste den Großverdiener von der Gehaltsliste streichen. Die Berliner können sich den Olympiasieger leisten, weil Hauptsponsor Berlin Recycling sein Engagement unverändert aufrechterhält.
Carboneras Alter dürfte dagegen interessierte Vereine aus Italien, Polen und Russland abgeschreckt haben, Eder wird im Oktober 37 Jahre alt. Außerdem ist nicht absehbar, ob der Südamerikaner so fernab der Heimat zu sportlichen Höchstleistungen fähig ist. Erst einmal spielte Eder außerhalb Brasiliens, nach der Saison 2017/18 in Italien bei Diatec Trentino zog es ihn wieder zurück. Auch in Berlin unterschrieb Carbonera nur einen Einjahresvertrag. Dies war jedoch auch im Sinne des Clubs, denn zum einen sind die finanziellen Auswirkungen der Corona-Krise noch immer nicht ganz klar. Und zum anderen ist eine komplette Saison für einen bald 37-Jährigen schon ein Brett.
Doch Alter schützt vor Leistung nicht. Das beweist auch Sergej Grankin. Der Russe ist Berlins zweiter Olympiasieger im Kader, nur ein Jahr jünger als Eder und der beste Zuspieler in der Bundesliga. Grankin verlängerte trotz lukrativer Angebote aus dem Ausland seinen auslaufenden Vertrag um eine weitere Saison, weil es ihm „sehr viel Spaß" mache, für die BR Volleys zu spielen. Die Verantwortlichen hoffen, dass sie bei Carbonera ein ähnlich glückliches Händchen haben wie beim stillen Anführer aus Russland. Carbonera ist mit seiner Größe von 2,05 Meter und dem muskelbepackten Körper ein Modellathlet, der auf einer Höhe von 3,60 Meter abschlägt. Sein gewaltiger Sprungaufschlag ist genau das, was die Berliner gesucht hatten. „Denn eine unserer Lehren aus der letzten Saison in der Champions League war, dass wir noch mehr Aufschlagdruck entfachen müssen, um mit den besten Teams mithalten zu können", erklärte Niroomand.
Trainer Cédric Énard kann auch deshalb die Zusammenarbeit mit seinem neuen Starspieler kaum erwarten. „Er hat einen sehr, sehr großen Aufschlag", sagte Énard. „Ich freue mich sehr auf ihn." Der im Welt-Handball sehr gut vernetzte Franzose hat sich vor der Verpflichtung zahlreiche Informationen über den Brasilianer eingeholt. Wegen des Fitness-Levels hat er deswegen überhaupt keine Sorgen: „Alle haben mir bestätigt, dass Eder ein absoluter Profi ist und er trotz seines Alters eine tolle Athletik hat."
„Das größte Talent im Mittelblock"
Aber selbst ein topfitter Carbonera kann den Mittelblock nicht alleine stellen. In Anton Brehme verpflichteten die Berliner einen Nationalspieler, der mit seinen 20 Jahren viel von Routinier Eder lernen und so den nächsten Entwicklungssprung machen soll. „Wir wollen ja nicht nur Olympiasieger in unserer Mannschaft haben, sondern auch solche, die noch vorhaben, vielleicht Olympiasieger zu werden", sagte Niroomand. BR-Coach Énard glaubt, dass Brehme hierzulande „das größte Talent im Mittelblock" und „die Zukunft der Nationalmannschaft auf dieser Position" sei. Die Statistik unterstreicht diese Aussage: Der 2,06 Meter große Mittelblocker glänzte für seinen Ex-Club SVG Lüneburg in der abgebrochenen Corona-Saison mit einer Angriffseffizienz von 48 Prozent, dazu gelangen ihm 21 Asse und 45 Blockpunkte. Kein Wunder, dass Brehme nun den Schritt beim deutschen Branchenprimus wagt, zumal seine Freundin bereits in Berlin lebt. Für den 31-maligen Nationalspieler ist es eine Rückkehr, in der Saison 2018/19 hatte er ein Zweitspielrecht für die BR Volleys und gehörte zeitweise zum Kader. Zu einem Einsatz hatte es damals nicht gereicht. Es sei dennoch „grandios" gewesen, erinnerte sich Brehme, als ganz junger Spieler in die Max-Schmeling-Halle einlaufen zu dürfen.
Auf die stimmungsvolle Atmosphäre wird der Neuzugang aber wohl noch lange warten müssen. Veranstaltungen mit mehr als 5.000 Besuchern sind in Berlin bis zum 24. Oktober untersagt, bei Sportevents sind Zuschauer sogar gänzlich verboten. Alle Berliner Proficlubs drängen daher auf eine Änderung der Verordnung durch den Senat. Für Volleys-Geschäftsführer Niroomand ist klar: „Geisterspiele werde ich nicht mitmachen." Das Geld durch den Ticketverkauf sei ein elementarer Bestandteil der Refinanzierung des Saisonetats. Niroomand, der selbst an Covid-19 erkrankt war, hofft daher auf einen Saisonstart im Herbst mit maximal 3.000 Fans.
Die würden in der Max-Schmeling-Halle schon ordentlich Rabatz machen. Und Eder Carbonera dürfte mit seinen gefürchteten Aufschlägen die Stimmung anheizen.