Die BR Volleys treffen im entscheidenden Play-off-Duell um die Meisterschaft auf den Erzrivalen VfB Friedrichshafen. Diese Paarung hatte es schon in den neun Finalserien zuvor gegeben.
Nach seinem ungewöhnlichen Schritt, die Volleyball-Karriere ausgerechnet im besten Leistungssportalter ruhen zu lassen, hatte Benjamin Patch vermutlich den Sommer seines Lebens. „Wunderbar“ seien die unbeschwerten Monate gewesen, erzählte der Freigeist. Doch mit der Zeit dachte er immer mehr an seine erfolgreiche und ereignisreiche Zeit bei den BR Volleys zurück. Die Wehmut war zwar nicht so groß, dass er zurück aufs Parkett wollte. Aber er startete ein Projekt mit seinem Ex-Club. Der queere US-Amerikaner gestaltete den Jahreskalender der BR Volleys, die Erlöse kommen der Berliner Stadtmission zugute. Die Bilder der Profis in den dunklen Sakkos und Hosen sowie den weißen Hemden, die meist aufgeknöpft muskelbepackte Oberkörper preisgeben, schoss Patch selbst.
Er arbeitet als Fotograf, Künstler, Designer und Model, und er hatte beim Shooting genaue Vorstellungen davon, wie seine ehemaligen Mitspieler barfuß im Brandenburger Schlosspark posieren sollten. „Rennen. Aufeinander bauen. Einander aufbauen. Fallen. Das war meine Gefühlslage“, sagte Patch, der in jenem Moment von seiner Vergangenheit eingeholt wurde. Ihm sei beim Fotoshooting klargeworden, „dass ich etwas physisch verlassen hatte, das so ein großer Teil von dem war, was ich gewesen bin: Teil der BR Volleys, Teil der Stadt als Athlet“. Doch ein schlechtes Gewissen spürte der frühere Diagonalangreifer, der mit dem Hauptstadtclub Titel um Titel gewann, nicht. Weder für sich noch für das Team. „Es ist großartig zu sehen, wie die BR Volleys nach einem Kapitel, das irgendwie ikonisch war, mehr und mehr ihre Identität finden“, sagte Patch der „Berliner Zeitung“.
Auch ohne Patch steuern die Volleys dem siebten Meistertitel in Folge entgegen. Das Team von Trainer Cedric Énard qualifizierte sich als erstes Bundesligateam für das Finale der diesjährigen Play-offs. Dafür reichte ein lockeres 3:0 in der Halbfinalserie gegen die SWD Powervolleys Düren. Im zwölften Finale der Clubgeschichte trifft der Titelverteidiger auf einen alten Bekannten: VfB Friedrichshafen. Der Rekordmeister war bereits in den vergangenen neun Finalserien der Gegner. Man kennt sich, man schätzt sich – doch die BR Volleys wollen ab dem Auftaktspiel am 1. Mai in der heimischen Max-Schmeling-Halle einmal mehr beweisen, dass sie inzwischen die Nummer eins im deutschen Männer-Volleyball sind. „Wir arbeiten das ganze Jahr auf diese Finalspiele hin, die uns jetzt erwarten, und dabei den Heimvorteil zu haben, weckt große Vorfreude“, sagte Nationalspieler Ruben Schott.
Ein großer Motivationsschub: Das Team will Trainer Énard einen triumphalen Abschied bescheren. Der Erfolgscoach verlässt den Club am Saisonende nach fünf Jahren aus persönlichen Gründen. Der Franzose will zum einen mehr Zeit in der Heimat mit seiner Familie verbringen und verspürt zum anderen „eine gewisse Müdigkeit“. Sein Nachfolger steht auch schon fest: Joel Banks. Der 47 Jahre alte Brite, der zugleich Trainer der finnischen Nationalmannschaft ist, wird die Finalserie besonders interessiert beobachten und daraus weitere Schlüsse für sein Engagement beim Hauptstadtclub ziehen. „Joel passt genau in unser Anforderungsprofil“, sagte Geschäftsführer Kaweh Niroomand: „Mit seiner Verpflichtung bleiben wir unserer Linie treu. Er ist ein Mann, der eine gewisse Erfahrung und Erfolge aufweisen kann, sich selbst aber noch weiterentwickeln will. So jemanden mit Motivation und Ehrgeiz brauchen wir für unser dynamisches Projekt.“
„Noch nicht wieder da, wo wir zuletzt waren“
Die BR Volleys gehen als Favoriten ins Duell um den Meistertitel, die Halbfinalserien haben dies noch mal bestätigt. Während Friedrichshafen beim 3:1 gegen die SVG Lüneburg etwas Mühe hatte, zogen die Berliner durch ein souveränes 3:0 gegen die SWD Powervolleys Düren ins Endspiel ein. Im letzten Duell gelang ihnen in der Max-Schmeling-Halle ein 3:1, das bis auf die Gäste allen Beteiligten viel Spaß bereitete. Es war Berlins achter Sieg im achten Pflichtspiel der Saison gegen Düren. Auch im Pokalfinale Ende Februar hatten die Volleys gegen das Team aus Nordrhein-Westfalen die Oberhand behalten. „Wir haben dieses Match über weite Strecken im Griff gehabt und gut gespielt“, sagte Schott, der von einem Spaziergang ins Finale aber nichts wissen wollte. Der verlorene dritte Satz, in dem die Dürener die wenigen Schwachpunkte der Berliner eiskalt auszunutzen wussten, sollte auch Warnung fürs Finale sein. „Solche Schwächephasen können wir uns im Finale nicht leisten“, sagte Mittelblocker Anton Brehme: „Wir hatten ein paar Probleme und sind noch nicht wieder da, wo wir in der Champions League zuletzt gegen Perugia waren.“
Gegen Perugia, eine mit Weltklassespielern gespickte Topmannschaft aus Italien, war der deutsche Serienmeister im März in der Champions League ausgeschieden, hatte für den harten Kampf aber große internationale Anerkennung erhalten. Nach dem Aus in der Königsklasse liegt der volle Fokus nun auf dem Play-off-Finale in der Bundesliga, der Titel ist ein Muss. Er entscheidet darüber, ob die Saison intern wie extern als Erfolg oder Misserfolg verbucht wird.
Um in der Finalserie gegen Friedrichshafen erfolgreich zu sein, dürfen sich die Berliner nicht nur auf ihren konstant starken Aufschlag verlassen. Auch die Außenangreifer müssen zur Topform auflaufen, was in den vergangenen Wochen nicht immer der Fall gewesen ist. Deshalb hatte Geschäftsführer Niroomand zuletzt sogar öffentlich Kritik geäußert. „Unsere Außenangreifer erreichen kaum mal Angriffsquoten von 50 Prozent und mehr“, hatte der Deutsch-Iraner kritisiert – und damit offenbar den richtigen Ton getroffen. Denn prompt übertrafen die Außenangreifer Timothee Carle (55 Prozent) und Ruben Schott (53) im dritten Halbfinalspiel gegen Düren die 50-Prozent-Marke. „Ich freue mich heute besonders für Tim, dass er zurückkam und auch verdient zum MVP gewählt wurde“, sagte Schott über Carle: „Wir werden ihn im Finale brauchen.“ Der zuletzt krankheitsbedingt fehlende Außenangreifer Cody Kessel dürfte in den Duellen gegen Friedrichshafen auch wieder zur Verfügung stehen.
Das Berliner Team setzt aber nicht nur auf die auf dem Papier höhere Qualität der Einzelspieler, sondern auch auf ihren Zusammenhalt. „So ein Teamgefüge hatte ich noch in keiner Saison“, sagte Zuspieler Johannes Tille: „Wir sind gut auf dem Court, weil jeder weiß, was der andere will und braucht.“ Das ist keine Selbstverständlichkeit, schließlich hatten den Club vor der Saison neben Patch auch andere Leistungsträger der Vorjahre verlassen. Allen voran Olympiasieger Sergej Grankin, der 38 Jahre alte russische Weltklasse-Zuspieler läuft inzwischen in der Heimat für Fakel Nowy Urengoi auf. Nicht wenige Konkurrenten hatten gehofft, dass der Wegfall so wichtiger Säulen das stabile Gebilde des Dauer-Dominators ins Wanken bringen könnte. Doch das ist bislang nicht geschehen.
Aktionen wie das Fotoshooting von Ex-Spieler Patch dürften den Zusammenhalt sicher gestärkt haben. „Es war das erste Fotoshooting für mich. Und dazu in einem Style, der anders ist, als ich normalerweise lebe“, sagte Tille. „Aber es hat super viel Spaß gemacht. Ben strahlt so eine Ruhe aus. Du fühlst dich null unter Druck.“ Der Druck kommt aber jetzt. Die BR Volleys wollen und müssen den Titel holen.