Im Herbst 2023 kam es beim Deutschen Fußball-Bund zum großen Knall: Bundestrainer Hansi Flick wurde entlassen, sein Nachfolger wurde der junge Julian Nagelsmann. Ein Paukenschlag auf vielen Ebenen.
Es ist der 9. September in der Volkswagen Arena in Wolfsburg. Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Japan. Normalerweise wird vor einem solchen Spiel lediglich über die Höhe des Sieges geredet. Den gab es natürlich auch. Nur nicht wie in der Vergangenheit für die DFB-Elf. Nein, sondern für die „Samurai Blue“, wie das japanische Nationalteam genannt wird. Mit einem 1:4 aus Sicht der Adlerträger verließ man den Platz. Für jeden Zuschauer im Stadion oder vor dem Fernseher war dies ein Tiefpunkt. Genauso für die Spieler. Der neue Kapitän İlkay Gündoğan schlug nach dem Spiel Alarm: „Gefühlt hat gerade jeder mit sich selbst zu kämpfen.“
Der Worst Case trat bereits in Katar ein
Im Mittelpunkt des schwarz-rot-goldenen Fußballinteresses stand der Bundestrainer Hansi Flick. Der ehemalige Erfolgstrainer des FC Bayern München, mit dem er 2020 nahezu alles gewann, was es zu gewinnen gab, wurde nach der verkorksten EM 2021 Nachfolger von Jogi Löw – jenem Löw, mit dem Flick das „Sommermärchen“ 2014 mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft krönte. Da war es seitens des DFB nur logisch, Flick als neuen Chef zu installieren. Und es ging auch gut los. Sieg an Sieg reihte sich aneinander. Doch dann kam die Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Dort schied man nach der Gruppenphase aus. Der Worst Case trat ein, den sie beim DFB verhindern wollten: wieder Gruppen-Aus. Wieder gegen vermeintlich kleinere Nationen. Analog zur WM 2018 in Russland. Für Flick ein heftiger Tiefpunkt. Die Tiefpunkte wurden in den folgenden Monaten nicht weniger, im Gegenteil. Ein Unentschieden gegen die Ukraine und zwei Niederlagen gegen Polen und Peru. Die Niederlagen-Serie zwang im Zusammenhang mit der anstehenden Europameisterschaft die Oberen des DFB um Präsident Bernd Neuendorf, Vize-Präsident Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Rudi Völler dazu, die Reißleine zu ziehen. Einen Tag nach der Niederlage gegen Japan stellten sie Flick frei. Wer der Nachfolger werden sollte, stand zu diesem Zeitpunkt noch in den Sternen.
Da wenige Tage nach der Entlassung das nächste Spiel gegen die beste Mannschaft Europas – Frankreich – anstand, wurde ein Interimscoach installiert. Und der hörte auf den Namen Rudi Völler. Der eigentliche Sportdirektor, der in der Vergangenheit bereits Nationaltrainer war, trat das Amt eigens für das Spiel gegen die Franzosen an. Und das mit vollem Erfolg. Mit einem 2:1-Sieg zeigte die Nationalmannschaft ein anderes Gesicht und schaffte es, die Fans nach der Japan-Niederlage positiv zu stimmen. Ein wichtiger Teil der Euphorie an diesem Abend im Dortmunder Signal Iduna Park war neben den Spielern natürlich der Aushilfs-Nationaltrainer Völler. Nicht wenige Fans wünschten sich nach diesem erfolgreichen Spiel den 63-Jährigen auf die Trainerbank bei der anstehenden Heim-EM. Diese Wünsche dämpfte der ehemalige Manager von Bayer 04 Leverkusen ein: „Für mich ist es eine einmalige Sache.“ Des Weiteren setzte Völler ein Anforderungsprofil für den neuen starken Mann der Nationalmannschaft auf. Dieser hat laut dem Sportdirektor eine besonders wichtige Aufgabe: Er soll die Mannschaft „neu ausrichten und auf das große EM-Turnier im kommenden Jahr vorbereiten, von dem wir alle uns für den deutschen Fußball und auch für unser ganzes Land positive Impulse erhoffen“, so Völler.
Dieses Profil, so waren sich die Bosse einig, passte haargenau zu Julian Nagelsmann. Der 36-Jährige soll das DFB-Team wieder in die richtige Spur Richtung erfolgreicher Europameisterschaft führen. „Das Ziel, eine gute Heim-EM zu spielen, ist ein großer Anreiz. Wir wollen die Fußball-Nation begeistern. Wir werden den Anspruch haben, einen attraktiven Fußball zu spielen“, so der Neu-Nationaltrainer bei seiner Antrittspressekonferenz im September. „Wir sind sehr froh, dass wir diese Möglichkeit hatten, ihn auch zu überzeugen, was wir eigentlich gar nicht so groß machen mussten. Er hat sofort gebrannt für diese Position“, so Völler über die Gespräche mit Nagelsmann.
Erstes Spiel auf der USA-Reise
Neben dem Ex-Trainer von TSG Hoffenheim, RB Leipzig und zuletzt FC Bayern München stehen zwei Co-Trainer an seiner Seite: zum einen sein langjähriger Wegbegleiter und guter Freund Benjamin Glück sowie Ex-Nationalspieler Sandro Wagner. Für den Bundestrainer ist die Wahl seiner Assistenten eine logische Entscheidung: „Sandro Wagner kenne ich schon lange, er ist ein extrem intelligenter Mann und hat bereits in der Kürze der Zeit als Co-Trainer einen sehr guten Job gemacht. Mit Benji arbeite ich seit mehreren Jahren zusammen. Der weiß, wie ich ticke.“
Die ersten Spiele unter dem Neu-Bundestrainer fanden im Rahmen der USA-Reise im Oktober statt. Mit im Gepäck hatte er einige Überraschungen. Erstmals wurden Kevin Behrens vom 1. FC Union Berlin und Chris Führich vom VfB Stuttgart für die Nationalelf nominiert. Es war ein erster Fingerzeig für die Zukunft. Für die knappe Zeit bis zum Start der Heim-EM hat der Trainer eine klare Forderung: „Ich erwarte auch in dieser kurzen Zeit, dass man sieht, dass jeder Lust hat, für den DFB zu spielen, dass jeder Lust hat, Spiele zu gewinnen, auch im Hier und Jetzt.“
Das große Ziel des Präsidiums, der sportlich Verantwortlichen, dem neuen Trainerteam und der Mannschaft ist ganz klar, eine erfolgreiche Europameisterschaft im eigenen Land zu spielen. Präsident Bernd Neuendorf hat einen ganz klaren Plan vor Augen: „Wir spielen ein Turnier im eigenen Land. Da muss das Erreichen des Endspiels der Anspruch sein.“ Ob der Bundestrainer mit seinem neuen Team diese Vorgabe einhalten wird, wird sich spätestens am 14. Juli 2024 im Olympiastadion in Berlin zeigen. Dort und dann findet das Finale der Europameisterschaft statt. Bis dahin haben Nagelsmann und Co. noch einiges zu tun.