In einer Welt voller Krisen steht Deutschland für Mäßigung und Augenmaß.
Endlich! Egal, wohin man auf der Welt schaut: Die Erleichterung, dass Deutschland bald wieder über eine langfristig verlässliche Regierung verfügt, ist groß. Die quälend langen Sondierungs- und Koalitionsgespräche, die Zitterpartie des SPD-Mitgliederentscheids und das Damoklesschwert einer Minderheitsregierung haben Deutschlands Ruf als Anker der Stabilität angeknackst. Diese Zeit ist nun glücklicherweise vorbei.
Angesichts der vielen globalen Krisenherde tut eine berechenbare Bundesregierung not wie nie. Die Europäische Union ist in der Wirtschafts- und Sozialpolitik gespalten zwischen Nord und Süd, in der Flüchtlings- und der Rechtsstaatspolitik zwischen Ost und West. Amerika, die jahrzehntelange Schutz- und Führungsmacht des Westens, hat sich unter Donald Trump auf Abwege begeben. Der egozentrische Polit-Machismo und der knallharte Wirtschaftsnationalismus des Präsidenten machen die USA zu einem unsicheren Kantonisten. Trotz der jüngsten Entspannungssignale bleibt der Atom-Konflikt mit Nordkorea gefährlich.
Russland verliert sich mit Kremlchef Wladimir Putin in militärischen Muskelspielen, Weltmacht-Gelüsten und einer autokratischen Verhärtung nach innen. China verbreitet Freihandels-Rhetorik, bietet aber Abschottungs-Realität. Der Nahe Osten versinkt nach dem kurzen Leuchtfeuer des „Arabischen Frühlings“ im Chaos. Nirgendwo wird dies deutlicher als in Syrien, wo Russland, der Iran, die Türkei und Saudi-Arabien ihre regionalpolitischen Süppchen kochen.
Vor dem Hintergrund der sich auflösenden internationalen Ordnung bedarf es eines Korrektivs, das für Demokratie, Rechtsstaat und freien Handel eintritt. Es ist die Rolle für die ausgleichende Mittelmacht Deutschland. Die langjährige Erfahrung von Kanzlerin Angela Merkel schlägt hier als Trumpf zu Buche. Sie kennt die Akteure und weiß, wie sie ticken. Der neue Außenminister Heiko Maas dürfte nach einer Einarbeitungszeit seinen Platz finden. Beim Sprung vom Saarland nach Berlin hat er Anpassungsfähigkeit bewiesen.
Die größte Herausforderung der frischgebackenen Bundesregierung besteht darin, die EU wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat der matt gewordenen Europa-Idee neuen Schwung verliehen, aber er ist mit seinem Integrations-Ehrgeiz über das Ziel hinausgeschossen. Dagegen regt sich Widerstand. Eine Allianz aus den Niederlanden, den drei baltischen Ländern, Schweden, Dänemark, Finnland und Irland will mehr Kostendisziplin und Mitsprache der Nationalstaaten.
Dagegen will Frankeich eine Investitions-Offensive für die gesamte EU, um das wirtschaftliche und soziale Gefälle in der Gemeinschaft auszugleichen. Die Südländer sehen das genauso. Egal, wer in Italien künftig regiert: Rom wird auf eine Lockerung des Sparkurses in Brüssel pochen. Die Mitteleuropäer wiederum weigern sich, Flüchtlinge aufzunehmen. Sie bauen auf einen starken Staat und nehmen dabei Abstriche bei Presse- und Meinungsfreiheit in Kauf.
Die Spannungen sind so stark, dass die EU früher oder später auseinanderzufallen droht. Die Bundesregierung muss die gegenläufigen Kräfte austarieren. Das geht am besten, indem sich die Union auf ihre wesentlichen Aufgaben besinnt: Grenzsicherung, Verteidigung und Anti-Terror-Kampf. Ferner die Errichtung von Rahmenbedingungen für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, die Wachstum fördert, Jobs schafft und soziale Leistungen ermöglicht. Minimalismus statt Maximalismus, lautet die Devise. Eine schlanke, effiziente Gemeinschaft bringt mehr als ein riesiges EU-Konstrukt.
Auch mit Blick auf Amerika heißt es, Augenmaß zu bewahren. Trumps Drohungen, Strafzölle auf Autos aus Europa zu erheben, sind eine Provokation. Doch es wäre falsch, auf die Wildwest-Methoden des Präsidenten mit dem handelspolitischen Colt zu antworten. Es würde in eine Eskalationsspirale münden, bei der es nur Verlierer gäbe. Zwischen massiver Vergeltung und reiner Passivität liegt das Feld für Diplomatie und kluge Politik. Denkbar wäre eine Mischung aus dem Wink mit begrenzten Gegenmaßnahmen und Verhandlungsangeboten.
In einer aus den Fugen geratenen Welt sind die Instrumentarien einer ausgleichenden Mittelmacht überschaubar. Aber in Zeiten wie diesen zählen die Kräfte der Mäßigung doppelt.