Zum 31. Mal wird am Sonntag in Suzuka der Große Preis von Japan ausgefahren. Je viermal siegten Sebastian Vettel und Lewis Hamilton. Für beide werden die 53 Runden auf der Achterbahn aber alles andere als ein Vergnügen werden, wenn es darum geht, wer die Vorherrschaft im Land der aufgehenden Sonne übernehmen wird.
Der „Suzuka International Course" ist eine der Lieblingsstrecken der Formel-1-Piloten. Als einzige Piste im GP-Kalender verläuft sie über 5,8 Kilometer als krumme Acht – ähnlich wie bei einer Modell-Rennbahn. Realisiert wird diese achtförmige Streckenführung durch eine Brückenkreuzung. An einem der exotischsten Veranstaltungsorte des rasenden Unterhaltungszirkuses führt die Rennstrecke mitten durch einen riesigen Freizeit- und Vergnügungspark. Die Riesenanlage wurde eigens errichtet für die Familien der Honda-Mitarbeiter. Früher hatte dieser Park den naheliegenden Namen „Honda-Land". Jetzt heißt die Anlage „Suzuka-Land", gehört aber immer noch dem Autokonzern Honda. Markenzeichen dieser märchenhaften Vergnügungsstätte ist das gigantische Riesenrad. Die Strecke hat „Mister Zandvoort", der Holländer Johannes „Hans" Hugenholtz, gebaut. „Ist ihm gut gelungen", gratulierte Ex-Formel-1-Pilot Gerhard Berger. „Irrsinnig schwierig, anstrengend, eine echte Fahrerstrecke, echt gefährlich, aber für mich eine der schönsten Rennstrecken der Welt", jubelte der Tiroler, aber „auch gefährlich, weil sie alle Arten von Kurven hat, Haarnadeln und sichelförmige – mit mörderischen Fliehkräften. Immer bergauf, bergab, sehr anstrengend."
„Gefährlich, weil sie alle Arten von Kurven hat"
Grand Prix in Japan: Das ist Formel 1 im Disneyland, 400 Kilometer westlich von der Hauptstadt-Metropole Tokio, rund 50 Kilometer südwestlich der Industriestadt Nagoya, in der auch die Flugzeuge mit den Fans, Journalisten und Reportern aus Frankfurt kommend landen. Die Stadt Suzuka selbst, erstmals im Jahr 645 urkundlich erwähnt, liegt mit ihren 185.000 Einwohnern an der Südost-Küste der japanischen Hauptinsel Honshu und gehört zur Mie-Präfektur. Die ortsansässige Industrie stellt vor allem Nahrungsmittel und Textilien her, außerdem hat Honda große Fertigungsstätten in Suzuka. Zu den Sehenswürdigkeiten der Universitätsstadt gehören buddhistische Tempel sowie Shinto-Schreine. Und natürlich der Vergnügungspark mit Riesenrad, zwei Achterbahnen, Hochschaubahn, Rummelplatz, Restaurants, Buden und Karaoke-Hütten. All diese Attraktionen erfüllen das Honda-Paradies mit Leben. In diesem Paradies bekommen alle Formel-1-Piloten eine Mini-Honda, um vom Flower Garden Hotel vor dem Freizeitpark zur Arbeit an ihre Box zu fahren. Steigen sie dann von ihren motorisierten Zweirädern in ihre vierrädrigen bis zu 1.000 PS starken Rennboliden, um über die krumme Acht zu „fliegen", dann kommen sich die Piloten allerdings vor, als würden sie auf einer Achterbahn ihre Runden drehen. Rauf und runter, immer munter. Auch wenn es auf dem ultraschnellen Suzuka-Circuit mit einer Abfolge schneller und sehr komplexer S-Kurven weit weniger gemütlich zugeht als bei einer traditionellen japanischen Tee-Zeremonie – die Grand-Prix-Strecke im Land der aufgehenden Sonne zaubert immer wieder ein Lächeln auf die Gesichter der Fahrer. Aber als anspruchsvolle und ausgesprochene Fahrerstrecke verlangt sie den Piloten auch alles ab. In den schnellen, langgezogenen Kurven-Kombinationen sind perfekte aerodynamische Abstimmungen und kräftige Nackenmuskeln gefordert. Die Spoon- (deutsch: Löffel-)Kurve, deren Ausgang am Streckenende kaum einzusehen ist, ist eine echte Mutprobe – wie in Spa die spektakuläre Himmelfahrts-Kurve Eau Rouge. Der Japan-GP gilt als eines der spektakulärsten Rennen des Jahres. Und war oft finaler Schauplatz einer spektakulären Titel-Entscheidung – der Krönung eines Weltmeisters. Hier nur vier Herzschlag-Finals (von vielen):
Die Strecke verlangt den Piloten alles ab
1996: Die beiden Williams-Piloten Damon Hill und Jacques Villeneuve machen den WM-Titel unter sich aus. Der Brite führt mit neun WM-Punkten vor dem Kanadier. Villeneuve steht auf dem ersten Startplatz (Pole Position). Auf Platz vier fahrend verliert der Kanadier plötzlich das rechte Hinterrad, rast ins Kiesbett – Ende der WM-Träume. Für Hill ist der Weg frei zu seinem ersten und einzigen WM-Titel.
1998: McLaren-Pilot Mika Häkkinen führt mit vier Punkten vor Ferrari-Star Michael Schumacher. Der Deutsche würgt beim Start den Motor ab und wird von der Pole Position auf den letzten Platz strafversetzt. An dritter Stelle liegend, scheidet Schumi aus. Häkkinen gewinnt und ist zum ersten Mal Weltmeister.
1999: Wieder fällt die Entscheidung in Suzuka. Diesmal führt Ferrari-Pilot Eddie Irvine mit vier Punkten vor Häkkinen (70:66). Der Finne kann nur mit einem Sieg aus eigener Kraft Champion werden. Er gewinnt und ist zum zweiten Mal Weltmeister.
2003: Schumacher muss um WM-Titel Nummer sechs im Ferrari richtig hart kämpfen. Erst im letzten Rennen in Suzuka holt er im Duell mit McLaren-Mercedes-Pilot Kimi Räikkönen als Achter den einen Punkt, der rechnerisch noch zum Titel fehlte.
Alain Prost und Ayrton Senna mit „Privatkrieg"
Erwähnenswert sind ebenfalls die legendären Feind-Titel-Duelle der beiden McLaren-Piloten Alain Prost und Ayrton Senna, die zwar in Suzuka – aber nicht in einem WM-Saisonfinale – ausgefochten wurden. 1988 war Suzuka vorletzter WM-Lauf. Prost führte mit 84:79 Punkten. Senna verpatzt auf der Pole Position den Start, fällt auf Rang 14 zurück. Senna gewinnt trotzdem und wird erstmals Weltmeister. 1989, wieder vorletztes Rennen in Suzuka: nächste Runde im Duell Prost gegen Senna. Der Franzose führt mit 16 Zählern und legt es an einem langsamen Streckenabschnitt (bewusst) auf eine Kollision mit seinem McLaren-Teamfeind an, der von Startplatz eins vor Prost ins Rennen ging. Senna kann zwar weiterfahren, wird jedoch nachträglich wegen Abkürzens einer Schikane disqualifiziert. Beide Kampfhähne kamen nicht in die Wertung, Prost wurde aber vorzeitig Champion. 1990: Prost und Senna setzen ihren „Privatkrieg" im vorletzten Saisonrennen fort. Diesmal hat Senna elf Punkte Vorsprung. Als Start-Erster vor Prost, der seit der Saison 1990 einen Ferrari lenkt, macht Senna mit seinem Ex-Stallgefährten kurzen Prozess. Noch vor Durchfahren der ersten Kurve nimmt der Brasilianer einen Crash (Unfall) in Kauf, als der Franzose ihm die „Tür" zumacht. Es war Sennas Rache. Der Brasilianer feierte trotz seines Ausscheidens (wie auch Prost) seinen zweiten WM-Titel. 1991: Wieder im vorletzten Suzuka-Rennen, wieder Senna im Titelkampf – aber diesmal statt Prost mit dem Briten Nigel Mansell. 16 Punkte (85:69) trennen den Brasilianer von seinem neuen Williams-Titelkonkurrenten (1989 und 1990 noch Ferrari-Pilot). Mansell scheidet mit Bremsproblemen aus. Senna wird zum dritten Mal Weltmeister. Er bremst vor der Ziellinie und überlässt seinen Sieg seinem McLaren-Fahrerfreund Gerhard Berger.
Diese Titelkampf-Duelle wie sie ihre Vorgänger in Suzuka betrieben, bleiben den heute aktuellen Gegnern Vettel und Hamilton bisher erspart. Beide sind viermal von der Achterbahn als Sieger ins Ziel gekommen: Sebastian Vettel 2009, 2010, 2012 und 2013 im Red-Bull-Boliden, Lewis Hamilton 2014, 2015, 2017 und 2018 im Mercedes.
Wenn am Sonntag (7.10 Uhr RTL/Sky) der 17. von 21 WM-Läufen zu unchristlicher Fan-Zeit über die Asphaltbühne geht, dann werden die Fahrer hellwach sein. Dann werden die Ferrari-Kampfhähne Charles Leclerc und Sebastian Vettel um ihre Vorherrschaft im roten Team kämpfen. Und Lewis Hamilton wird versuchen, die wild galoppierenden Ferrari-Pferde erneut einzufangen und seinem Silberpfeil zu einem weiteren „Flug" zum unaufhaltsamen sechsten WM-Titel zu verhelfen.