Die Betonpolitik des iranischen Regimes geht nur kurzfristig auf
Der Nahe und Mittlere Osten ist für Idealisten ein trügerisches Pflaster. Die Unruhen, die seit Ende Dezember quer durch den Iran aufflackerten, verführten einige im Westen zu der Hoffnung, dass die Grundfesten des Mullah-Staats erschüttert werden könnten. US-Präsident Donald Trump frohlockte auf Twitter: „Das iranische Volk versucht, seine korrupte Regierung abzusetzen“. Er versprach, man werde „zu gegebener Zeit eine kräftige Unterstützung seitens der Vereinigten Staaten“ erleben. In dem Land sei es an der „Zeit für Wechsel“.
Einer der riskanten Gedankenausflüge ins Reich des Interventionismus, für die vor allem die Amerikaner immer wieder anfällig sind. US-Präsident George W. Bush hatte dem Traum nachgehangen, der Irak könne 2003 per Militär-Invasion und danach quasi per Knopfdruck in einen Rechtsstaat verwandelt werden. Mit den verheerenden Konsequenzen dieser Fehlkalkulation muss die Welt noch heute leben.
Im Westen hatten viele naive Erwartungen, als der „Arabische Frühling“ Ende 2010 in Tunesien begann – zunächst mit Protesten gegen hohe Brotpreise und die Willkür von staatlichen Ordnungshütern. Kurz darauf griff der Flächenbrand des Aufruhrs auf Ägypten über. Selbst in Syrien gab es Kundgebungen gegen die Politik der eisernen Faust von Präsident Baschar al-Assad.
In der Folge kamen in Ägypten erst die Muslimbrüder an die Macht, danach errichtete Staatschef Abdel Fattah al-Sissi de facto eine Militärdiktatur. In Syrien gewann Assad mit Hilfe Russlands und des Irans den Bürgerkrieg. Der „Arabische Frühling“ endete – sieht man von einigen zaghaften Reformen in Tunesien ab – mit einer Restauration autokratischer Herrschaftssysteme.
Ähnliches droht nach den jüngsten Demonstrationen im Iran. Groteskerweise begannen die Ausschreitungen in der Stadt Maschhad im Osten des Landes, einer Hochburg der schiitischen Kleriker. Nach Einschätzung von Insidern in Teheran wollten sich die Mullahs dafür rächen, dass der um mehr Transparenz bemühte Präsident Hassan Rohani im Dezember einen Haushaltsentwurf für 2018 veröffentlicht hatte, der sozialen Sprengstoff birgt. Demnach sollen Subventionen für Grundnahrungsmittel und Benzin gekappt und die staatlichen Zuschüsse für religiöse Stiftungen und die Revolutionsgarden deutlich nach oben gefahren werden.
Diese Ungleichbehandlung erzürnte vor allem die ärmeren Schichten, die von den Kürzungen besonders stark betroffen sind. Denn das im Juli 2015 geschlossene Atomabkommen, das von Präsident Rohani wegen des Wegfalls der internationalen Sanktionen innenpolitisch als Startschuss für mehr Wohlstand verkauft wurde, entpuppte sich als hohles Versprechen. Trotz hoher Öl- und Gasreserven und einer gut ausgebildeten jungen Bevölkerung ist die iranische Wirtschaft über weite Strecken ineffizient. Die Stützen des Regimes machen sich die Taschen voll, während die Masse darbt. Nach einer Studie des persischen Ablegers der BBC ist das Durchschnittseinkommen der Haushalte zwischen 2007 und 2016 und rund 15 Prozent gesunken.
Kein Wunder, dass in den letzten Wochen die Unterprivilegierten an vielen Orten im Iran auf die Straße gingen. Insbesondere die unter 30-Jährigen, die 70 Prozent der Einwohner ausmachen, sehen keine Zukunft in einem mit religiösen Dogmen zubetonierten Land. Die Intellektuellen und die Angehörigen der Mittelschicht, die noch 2009 gegen die Wahl-Manipulationen von Präsident Mahmud Ahmadinedschad rebelliert hatten, verhalten sich allerdings dieses Mal still. Sie haben damals leidvoll erfahren, dass der Sicherheits-Apparat des Mullah-Staats jedweden großflächigen Protest niederknüppelt.
Das Regime kann öffentliche Äußerungen von Unzufriedenheit für begrenzte Zeit mit Betonpolitik abwürgen. Eine auf lange Sicht angelegte Befriedung lässt sich jedoch nur mit stufenweisen Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft erreichen. Danach sieht es aber nicht aus. Amir Hassan Cheheltan, einer der bekanntesten Schriftsteller im Iran, zieht vor dem Hintergrund der aktuellen Demonstrationswelle ein düsteres Fazit: „Da die Forderungen der Menschen nicht so rasch erfüllt werden, wie sie es hoffen, und die alten Probleme bleiben, wird diese Bewegung zum Schweigen gebracht werden. Und nach ein paar Jahren werden wir den nächsten Aufstand erleben.“