Was hinter Gerhard Schröders Geheimmission in der Türkei steckt.
Das deutsch-russische Verhältnis befindet sich an einem Tiefpunkt. Die Bundesregierung ist tief verstimmt über die Krim-Annexion durch Moskau sowie dessen fortwährende Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach bei seinem Besuch im Kreml Mitte vergangener Woche von „Entfremdung“, „offenen Wunden“ und „Belastungen“. Harte Worte für jemanden, dem in seiner Zeit als Außenminister das Etikett des Russland-Verstehers anhaftete.
Russlands Präsident Wladimir Putin weiß um die gravierende Störung der bilateralen Beziehungen. Er ist ein mit allen Wassern gewaschener Machtpolitiker. Die Berufung von Altkanzler Gerhard Schröder in den Aufsichtsrat des größten russischen Ölkonzerns Rosneft Ende September erfolgte auf seine Initiative. Putins Kalkül: Schröder, der aus alten Tagen noch über eine beträchtliche Reputation verfügt und exzellent vernetzt ist, soll als Eisbrecher und Brückenbauer auftreten – und dabei die Interessen Moskaus vertreten. Es geht vor allem um die Öffnung des europäischen Energiemarkts für Lieferungen aus dem Osten.
Doch das Rosneft-Engagement erwies sich als Bumerang. Schröder war zuvor zwar schon Aufsichtsratsvorsitzender der russischen Pipeline-Gesellschaft Nordstream AG. Doch Rosneft, größter Ölproduzent der Welt und mehrheitlich in russischer Staatshand, ist ein anderes Kaliber. Die Firma steht auf der EU-Sanktionsliste. Schröder als Chef-Lobbyist und diplomatischer Flankenschutz Putins: Das hatte dem Ex-Kanzler nicht nur scharfe Rügen aus der CDU eingebracht. „Völlig deppert der Kerl“, lästerte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz laut „Spiegel“, als er von dem Rosneft-Job seines Parteifreundes erfuhr.
Schröder quittierte jedwede Kritik mit einer Ihr-könnt-mich-alle-mal-Haltung und machte das Recht auf „sein“ Leben geltend. Dass aber für einen ehemaligen Chef der Bundesregierung auch nach Ende seiner Amtszeit gewisse Maßstäbe der politischen Hygiene gelten – dafür hat Schröder offensichtlich keinen Sensor. Die Lust an der Provokation ist stärker.
Schröders Image hat dadurch gelitten. Seine Position als Putins Emissär wurde geschwächt. Russlands Präsident musste also gegensteuern, um die Trumpfkarte Schröder auch wirklich spielen zu können.
Eine Woche nach der Bundestagswahl am 24. September bot sich eine Gelegenheit hierzu. Schröder flog im Auftrag von Außenminister Siegmar Gabriel und mit Wissen von Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Geheimmission nach Ankara. Spezialauftrag: Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, um möglichst viele inhaftierte Deutsche aus den Gefängnissen am Bosporus freizubekommen. Die deutsch-türkischen Beziehungen sind in der Sackgasse. Berlin hatte nach Erdogans Drohungen zuerst abgewartet, dann die Zügel angezogen: Verschärfung der Reisehinweise für die Türkei, Blockade beim Ausbau der Zollunion mit der EU. Nun sind Druckmittel so gut wie ausgeschöpft.
Schröder ist dagegen in der Türkei hoch angesehen. Der Einsatz des Undercover-Diplomaten hatte einen bemerkenswerten Teilerfolg: Zumindest der seit Juli einsitzende Berliner Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner wurde aus der Untersuchungshaft entlassen.
Dass der Altkanzler nur auf eigene Rechnung handelte, ist wenig plausibel. So weit reicht sein Einfluss nicht. Vielmehr darf man davon ausgehen, dass er mächtige Verbündete hatte, die hinter den Kulissen die Strippen für ihn zogen. Niemand Geringerer als Putin selbst dürfte sein Fürsprecher gewesen sein – wahrscheinlich in einem direkten Telefonat mit Erdogan.
Die Beziehung zwischen den beiden Autokraten hat einen atemberaubenden Wandel erlebt. Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei im November 2015 herrschte Hochspannung; Moskau verhängte sogar Sanktionen. Doch je mehr Erdogan mit den Europäern und den Amerikanern über Kreuz lag, desto enger wurde der Draht zu Putin. Russland ließ der Türkei freie Hand beim Kampf gegen die Kurden in Nordsyrien, Ankara bestellte daraufhin in Moskau S-400-Luftabwehrraketen – ein Affront für die Nato-Partner.
Putin braucht Schröder. Steht der frühere Kanzler im Westen hoch im Kurs, dient das den Interessen des Kremls. Gut möglich, dass er künftig bei weiteren heiklen Missionen eingesetzt wird.