Der türkische Präsident Erdogan bemüht sich um Annäherung an Deutschland
Die Türkei bemüht sich um Friedenssignale Richtung Berlin. Am Montag wurde die deutsche Journalistin Meşale Tolu aus der Untersuchungshaft entlassen. Zwar muss sie bis zum endgültigen Urteil in der Türkei bleiben, doch Präsident Recep Tayyip Erdogan wollte ein Zeichen der Entspannung setzen. Auch die Erlaubnis zur Ausreise des Berliner Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner Ende Oktober passt ins Bild. Beiden wurde Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen – vorgeschobene Gründe.
Die Kehrtwende in der türkischen Deutschlandpolitik hatte sich Anfang November angedeutet: Außenminister Sigmar Gabriel traf sich mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu im Badeort Antalya. Beide wirkten relaxt, machten im Sommeranzug auf gut Wetter. Ende November telefonierten Erdogan und Bundeskanzlerin Angela Merkel erstmals seit Monaten wieder miteinander. Eine deutliche Klimaverbesserung.
Vor wenigen Monaten war das noch ganz anders. Im März hatte Erdogan der Kanzlerin „Nazi-Methoden" vorgeworfen, weil türkische Spitzenpolitiker vor dem Verfassungsreferendum im April nicht in Deutschland auftreten durften. Der Präsident spuckte Gift und Galle gegen die Bundesrepublik: „Wenn sie sich nicht schämen würden, glaubt mir, dann würden sie die Gaskammern und Konzentrationslager von Neuem auf die Tagesordnung setzen. Aber momentan trauen sie sich das noch nicht."
Erdogan hat offensichtlich erkannt, dass sein Bulldozer-Kurs kontraproduktiv ist. Die verschärften Reisehinweise des deutschen Außenministeriums waren dem Türkei-Tourismus sicher nicht förderlich. Die Ausweitung der von der Türkei so sehnlich gewünschten Zollunion mit der EU steckt fest, weil die Bundesregierung bremst. Auch die Drohung, die Exportkreditversicherungen (Hermes-Bürgschaften) für die Türkei auszusetzten, dämpfte den Appetit deutscher Unternehmen für den Handel mit dem Land am Bosporus.
Der Lackmustest für Erdogans Schwenk muss allerdings noch erbracht werden. Erst wenn der seit Februar inhaftierte deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel freikommt, darf man die neue Annäherung für bare Münze nehmen.
Das heißt jedoch nicht, dass Erdogans Politik grundsätzlich weicher wird. Er sucht nach wie vor die große Bühne, den rhetorischen Schlagabtausch und die Konfrontation. Beim Krisentreffen der Organisation für Islamische Kooperation (OIC) in Istanbul schoss er erneut verbale Breitseiten gegen Israel ab. Das Land sei ein „Terror- und Folterstaat", polterte er mit Blick auf die Siedlungspolitik und den Umgang mit den Palästinensern.
Erdogan präsentierte sich als der Schutzpatron der Muslime. Doch sein Anspruch, die Front gegen den Jerusalem-Vorstoß von US-Präsident Donald Trump anzuführen, ist hohl. Wichtige arabische Staaten wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate entsandten keine Regierungschefs nach Istanbul. Ihnen liegt derzeit weniger das Schicksal der Palästinenser am Herzen als die Sorge vor einem wirtschaftlich und militärisch expandierenden Iran. Diese Interessen-Koalition vereint sie mit den USA – und Israel.
Die Rolle als Leitfigur der muslimischen Welt hat Erdogan bereits während des „Arabischen Frühlings" 2011 fasziniert. Und tatsächlich schaute der Nahe Osten in jener Zeit auf die Türkei: Die Mischung aus damals gemäßigtem Islam und einer unter Dampf stehenden Wirtschaft wirkte auf einige Herrscher in der Region attraktiv. Doch die Strahlkraft des Modells Erdogan ist inzwischen verblasst.
Erdogans Auftritte sollen vor dem heimischen Publikum als große Muskel-Show des unbestrittenen Anführers wirken. In Wahrheit zeugen sie von Schwäche. Trotz der polizeistaatlichen Methoden, trotz der gnadenlosen Ausschaltung von Kritikern hat Erdogan keineswegs gewonnen. Das Land ist unverändert tief gespalten zwischen dem islamisch-konservativen und dem proeuropäisch-modernen Flügel.
Nur wenn Erdogan die Präsidentschaftswahlen 2019 für sich entscheidet, kann er auf die weitreichenden Vollmachten aus dem Verfassungsreferendum zurückgreifen. Erdogan ist sich dieses Risikos durchaus bewusst. Er kompensiert diese Unsicherheit mit verbaler Kraftmeierei und Selbst-Inszenierung. Deshalb ist trotz der versöhnlichen Signale Richtung Berlin mit weiteren Überraschungen aus Ankara zu rechnen.